08.11.2016

Wir mussten alles neu lernen

Nachdem Joep gestorben ist konnten wir nichts mehr. Wir waren selbst wie Kleinkinder, unfähig um uns selbst zu versorgen. Mir fiel alles aus den Händen, wir waren so ungeschickt.

Natürlich hatten wir noch alle Fähigkeiten die wir hiervor hatten, aber irgendwie waren auch die weggesteckt hinter einem dunkeln Mantel aus Trauer. Wir hatten keine Energie uns auf irgendetwas zu konzentrieren, keine Energie um etwas zu tun. Aufstehen und duschen war eine Tagesaufgabe die wir zwar immer geschafft haben aber oft zu unmöglich erschien.

Wir mussten wieder lernen mit Menschen zu reden. Ich erinnere mich dass Rene irgendwann eine Email an seinen Arbeitgeber schreiben wollte und dass er für eine Email Tage brauchte anstatt 20 Minuten.

Unsere Konzentration war so schlecht, wir vergassen einfach alles. Wir mussten lernen alles in unseren Kalender zu schreiben und selbst das hat oft nicht geholfen.

Wir mussten lernen uns durch zu setzen, Menschen die er viel zu gut mit uns meinten ihre Grenzen spüren lassen. Wir mussten lernen 'nein' zu sagen. Jede Konfrontation war uns eigentlich zu viel, zu schwer.

Rene konnte nicht nein sagen und wenn er zu viel tat dann fiel er innerhalb von 5 Minuten in einen so tiefen Schlaf dass ich ihn stundenlang nicht wecken konnte. Er wurde 3 Stunden später mit Muskelkater und Schmerzen im ganzen Körper wach und fühlte sich Tage lang extra schlapp.

Wir mussten lernen für uns zu sorgen, 3 mal am Tag zu essen aber nicht zu viel zu essen. Wir mussten lernen wieder regelmäßig zu kochen, das dauerte mindestens ein halbes Jahr und noch heute kochen wir nicht so ausgebreitet wie früher.

Anfangs haben wir beide zugenommen, Essen machte nicht glücklich aber es war angenehm zu essen. Wir bestellten das erste halbe Jahr fast jeden Tag essen, gesund ist das natürlich nicht. Mittlerweile sind viele Kilos die wir zugenommen haben wieder runter. Ich wiege noch 1 kg mehr als vor der Schwangerschaft, Rene wiegt wieder was er vor der Geburt wog. Aber es war ein langer Weg.

Wir mussten lernen einkaufen zu gehen und nach unseren Bedürfnissen ein zu kaufen. Oft kauften wir ein um zu kochen nur damit es Ende der Woche alles im Müll landete. Wir hatten einfach keine Energie zu kochen. Irgendwann sind wir umgestiegen und haben nur noch sachen gekauft die max 10 minuten kochzubereitung hatten. Und auch das war noch zu viel, dann wurde es Suppe aus der Dose oder Tiefkühlpizza. Anstatt zu kochen haben wir meistens Salat gemacht.

Im Sommer haben wir dann einen Gasgrill gekauft und oft gegrillt. Wir haben Würstchen und Kartoffelsalat beim Metzger gekauft, dass ging schnell und war lecker.

Haushalt war auch zu viel für uns, wir mussten lernen jeden Tag ein bisschen zu machen. Eigentlich habe ich das zu 90% übernommen. Aber oft habe ich die Wäsche 2 Tage in der Waschmaschine vergessen und musste ich sie nochmal waschen. Ich habe nicht mehr darauf geachtet ob die Sachen evtl besser nicht in den Trockner konnten, alles kam in den Trockner weil ich keine Energie hatte etwas auf zu hängen. Alles kam immer in die Spülmaschine, von Hand abwaschen war keine Option.

Irgendwann hat eine Freundin für uns gestaubsaugt und ich war ihr so dankbar. Es war so eine Kleinigkeit für sie aber es hat mich so entlastet.

Wir wollten Sport machen, aber wir hatten keine Energie. Im Sommer haben wir oft das Fahrrad genommen anstatt mit dem Auto zu fahren, aber das ist jetzt auch vorbei. Wir haben jetzt angefangen zuhause zu trainieren, bis wir genug Energie haben fürs Fitnessstudio.

Es fühlte sich an als ob wir alles wieder neu lernen mussten. Wir mussten lernen wieder zu leben. Wir lernen es noch immer. Meine Konzentration ist noch immer nicht was sie mal war, ich habe noch immer wenig Energie. Ich arbeite jetzt vier Tage die Woche für drei Stunden und ich merke dass das momentan genug ist, dass mehr nicht gut wäre. Ich lerne wieder zu arbeiten, auch arbeiten gehört in mein Leben.

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