20.06.2017

Die Angst ihn nicht genug lieben zu können

Ich dachte immer dass ich wusste wie wahre Liebe sich anfühlt. Die Liebe die ich für Rene empfinde ist so tief, so pur und so echt dass ich in der Schwangerschaft mit Joep eigentlich nur eine Angst hatte: Was wenn ich ihn nicht genug lieben kann? Was wenn alle Mütter dieser Welt ihre Kinder mehr lieben als ihren Mann und ich das nicht kann? Was wenn Joep immer nur meine Nummer 2 sein wird.
Ja das war wohl die einzige Sorge die ich hatte... Ich liebte Joep schon in der Schwangerschaft so sehr und ich wollte nichts lieber als eine Familie zu sein. Rene, Joep und ich. Das ultimative Glück. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen dass ich noch mehr lieben kann. Dass ich Joep mehr lieben kann als Rene.
In der Sekunde in der Joep geboren wurde verschwand diese Angst und begriff ich wie lächerlich es doch war. Die Liebe die ich eh schon für Joep empfand explodierte. Vervielfachte sich ins unermessliche. Ich kann die Liebe die ich für Joepi fühlte und fühle nicht in Worte fassen. Ich weiss nur dass sie wuchs, jeden Tag den wir zusammen hatten wurde diese Liebe noch stärker und unser Band noch enger. Ich hätte sofort mein Leben für ihn gegeben. Ich wusste dass nichts auf der Welt so wichtig war wie Joep. Ich wollte alles für ihn geben, ihm alles geben. Ich wollte ihm alle Türen öffnen und ihn glücklich machen.
Aber Joep starb. Die Liebe blieb, wuchs weiter und veränderte sich weiter. Sie ist heute anders als sie vor einem Jahr war. Ich kann nicht beschreiben wir anders... Sie ist stark, ich vermisse ihn schrecklich aber sie hat kein Ventil. Ich kann sie nicht schenken...
Mein Verstand sagt mir dass Joeps Bruder bald all diese Liebe bekommt. Alle Liebe die für ihn explodieren wird und alle Liebe die ich für Joep habe aber nicht geben kann. Joeps Bruder bekommt die doppelte Portion Liebe von uns aber wieder habe ich Angst.
Angst ihn nicht genug lieben zu können. Was wenn ich ihn nicht so sehr lieben kann wie Joep? Als ich das das erste Mal dachte fand ich es schrecklich. Ich erzählte es Rene und er meinte: aber die Angst hattest du doch auch bei Joep.
Das beruhigte mich, ja auch Joep konnte ich so lieben wie er es verdient. Natürlich werde ich Joeps Bruder genauso lieben können.
Mein Verstand weiss das. Aber mein Gefühl sagt mir auch diese Schwangerschaft wieder: so viel Liebe kann ich für keinen anderen Menschen empfinden. Er wird meine Nummer 2 sein, er wird ihm nie das Wasser reichen können.
Und wenn mein Verstand mir dann sagt dass die Liebe zu Joep doch jeden Tag wuchs bekomme ich Angst ihn nach 2 Wochen mehr zu lieben als Joep. Ich kann mir halt einfach nicht vorstellen jemals jemanden mehr zu lieben als Joep.
Nur eins weiss ich ganz sicher. Alles was wir Joep nicht geben konnten werden wir Joeps Bruder geben. Ihm wird es nie an etwas fehlen, schon gar nicht an Liebe. Er ist unser größtes Glück, er ist der Grund dass wir wieder glücklich werden.

Trauer ist Stress für unsere Körper

Seitdem Rene plötzlich durch Spannungen und Stress Rückenprobleme hat versuche ich ganz bewusst auf meinen Körper zu achten. Ich frage mich oft wieviel Stress ich habe. Ich fühle mich nicht gestresst aber auch Rene hätte nie gedacht dass er so viel Stress hat dass er plötzlich körperliche Probleme bekommt. Trauer ist Stress und somit ist unser Stress dauerhaft, ich habe mich daran gewöhnt und merke gar nicht mehr dass ich Stress habe. Alle Stress Symptome die ich habe tue ich immer ab als Symptome der Trauer und/oder der Schwangerschaft. Trauer fühlte sich für mich nie an wie Stress aber wenn ich mir anschaue was die Symptome für Stress sind dann bin ich nicht mehr so sicher ob es nicht doch durch den Stress kommt. Trauer ist Stress, ja mein Stress kommt durch die Trauer aber wieviel Stress Hormone schwimmen durch mein Blut und wie schlecht ist das für meine Gesundheit und die des Kleinen? Dauerhafter Stress macht krank. Trauer ist die einzige Art und Weise wieder zu heilen. Es scheint kein Richtig zu geben... Ohne Trauer wird es mir nie besser gehen, Trauer gibt es nicht ohne Stress. Mein Weg ist der Richtige, die Trauer zu leben und zu akzeptieren ist wichtig für mich. Mit der Trauer als treuer Wegbegleiter zu leben ist die einzige Art und Weise für mich Joeps Tod zu überleben.

"Trauer ist der stärkste Stress, den ein Mensch überhaupt erfahren kann, so hat es der Psychoanalytiker Collin Murray Parkes formuliert." Und wenn ich mir eine Liste angucken in der alle Symptome für Stress aufgezählt werden dann kann ich das nur bejahen. Die Trauer um sein Kind scheint mir sowieso die stärkste Trauer die es gibt. (Es sei denn es geht um mehrere Kinder oder die ganze Familie) Ich google Symptome und hatte im letzten Jahr beinahe alle Symptome aber ich fühlte mich nicht so gejagt wie früher wenn ich Stress auf der Arbeit hatte. Es ist nicht zu vergleichen mit dem was ich an Stress kannte, es ist ein ganz neues Level von Stress.

"Stress-Symptome

Auf Stress über einen längeren Zeitraum hinweg reagiert der Organismus mit zahlreichen körperlichen wie psychischen Symptomen. Diese können sowohl akut als auch permanent (chronisch) auftreten. Auf jeden Fall sollten die Symptome nicht ignoriert werden, da Stress oftmals schwere Krankheiten auslösen kann. Typische psychische Anzeichen für Stress sind unter anderem Konzentrationsschwierigkeiten, Antriebsschwäche, erhöhte Reizbarkeit, Angst- und Panikanfälle, depressive Verstimmungen und Burnout. Körperlich zeigt sich die übermäßige Belastung durch Schlafstörungen, Herzrasen, erhöhten Blutdruck, Durchfall, nervösen Magen, Schmerzzustände und Muskelverspannungen. Weiterhin charakteristisch sind ein geschwächtes Immunsystem, nachlassende Libido und Lidzucken."

Ich kann kaum ein Symptom dieser Liste nennen dass ich nicht erfahren habe oder erfahre. Viele erfahre ich noch immer regelmäßig aber ich nenne es Trauer, nicht Stress... Ich habe meine Trauer oft als eine Achterbahnfahrt beschrieben, ein ständiges auf und ab. Ich denke dass das für uns und unsere Körper sehr wichtig ist: Wir brauchen diese Pausen in denen es okay ist um uns auch körperlich zu erholen. In diesen Zeiten ist dass Stresslevel niedriger und ich hoffe dass es dadurch für meinen Körper machbar bleibt.

Ich arbeite jetzt seit knapp zwei Monaten wieder Vollzeit. Auf der Arbeit fühle ich mich nicht gestresst aber ich merke dass ich die letzten Wochen viel schneller gereizt bin und sauer werde. Dann bin ich so wütend, auf alles und jeden. Das habe ich nicht wenn ich auf der Arbeit bin sondern wenn ich Zuhause zur Ruhe komme und oft wenn ich vom Friedhof wieder nach Hause laufe. Dann will ich am liebsten schreien und alles kaputt machen und führe ganze Streitgespräche in meinem Kopf. Aber kommt das jetzt dadurch dass ich mehr arbeite? Habe ich mehr Stress als vorher? Oder ist es einfach eine andere Phase meiner Trauer? Wut gehört dazu, ich habe im ersten Jahr gar keine Wut gefühlt und jetzt ist sie regelmäßig da. Fast wöchentlich übernimmt die Wut für einen kurzen Moment meine Welt und meine Gedanken (max 20 Minuten die Woche). Das endet dann in einem Tränenmeer und ich weine und schluchze bis alle Wut und Verzweiflung aus mir raus ist und nur die Traurigkeit noch bleibt. Traurigkeit ist mein treuer Begleiter, so bekannt und so vertraut. Traurigkeit ist mir so viel lieber als Wut.

Etwas anderes was mir in den letzten Wochen auffällt ist das ich schlechter schlafe und deswegen tagsüber super erschöpft bin. Und wieder frage ich mich: ist das der Stress? Habe ich Stress? Oder kommt es durch die Schwangerschaft? Schlafprobleme und Müdigkeit gehören zu jeder Schwangerschaft und sind nicht unbedingt ein Zeichen für Stress. Wir haben jetzt erstmal 2 Wochen frei und ich werde weiter auf meinen Körper achten. Wenn ich die nächsten Wochen plötzlich besser schlafe und mich fitter fühle dann weiss ich dass ich gut darüber nachdenken muss ob ich weiter Vollzeit arbeiten kann. Wenn der Kleine erstmal da ist und wir ihn gesund mit nach Hause genommen haben werde ich sowieso nicht wieder Vollzeit arbeiten. Nach dem Urlaub muss ich nur noch 2 Monate arbeite und ich habe so viele Urlaubstage dass ich mir zwischendurch noch ein paar Mal frei nehmen werde. Vielleicht brauchte ich auch einfach nur Urlaub und hat es nichts mit der Arbeit zu tun? Der letzte Urlaub ist ein halbes Jahr her und war alles andere als entspannend (Weihnachten sind wir nach Teneriffa geflüchtet und ich hatte im Urlaub eine frühe Fehlgeburt).  Irgendwie muss ich es schaffen mein Stresslevel zu senken. Und während ich das schreibe frage ich mich wieder: Ist es denn überhaupt hoch wenn ich mich doch nicht (kaum) gestresst fühle? Muss ich etwas verändern?  Keiner ausser mir kann die Frage beantworten, ich muss es fühlen können aber ich kann es nicht... Vielleicht bedeutet das auch dass alles okay ist aber dann Frage ich mich warum ich mir plötzlich doch Sorgen mache? Wäre das mit Rene's Rücken nicht passiert würde ich mir keine Sorgen machen...

Manchmal wird mir alles zu viel und in solchen Momenten weiss ich ich habe zu viel Stress. In solchen Situationen geht es mir psychisch schlecht und bin ich am Ende, kann ich eigentlich nicht mehr funktionieren aber tue es doch. Das werde ich in Zukunft versuchen zu vermeiden. Wenn ich mich so fühle sollte ich mir sofort eine Pause gönnen.

12.06.2017

2. Trimester

Ich bin jetzt in der 25. Schwangerschaftswoche und es scheint mir ein guter Moment zu sein um ein Schwangerschaftsupdate zu schreiben.

Mein letztes Update endete damit dass es mir nach dem Ultraschall in der 13. Woche besser ging und dass ich hoffte dass es so bleiben würde. Bis jetzt kann ich wirklich nur sagen dass das zweite Trimester soviel besser ist als das erste. All meine Ängste und Sorgen sind weg, ich fühle mich körperlich viel besser und mein Bauch ist deutlich schwanger, etwas worauf ich sehr stolz bin.

Mittlerweile wissen wir dass wir wieder einen Sohn bekommen, er konnte nicht damit wachten uns sein Geschlecht zu verraten und so wussten es schon mit 14+4 Wochen. Anfangs wünschte ich mir so sehr einen Jungen dass ich fast Angst hatte es würde ein Mädchen sein. Mit der Zeit wurde mir dasimmer egaler und bevor wir dem Ultraschall hatten war es mir dann total egal. Ein Mädchen wäre genauso willkommen gewesen und ich träumte schon fast davon Haare zu flechten und Röcke zu kaufen. Aber diese Schwangerschaft fühlte sich körperlich genau so an wie die Schwangerschaft mit Joep also konnte ich mir nur schwer vorstellen dass es ein Mädchen wird. Irgendwie erwarte ich dass es mir bei einem Mädchen anders geht.

Wie gesagt bekamen wir dann also die Neuigkeiten dass es ein Junge wird obwohl wir nur für den NIPT im Krankenhaus waren. Wir waren beide so erleichtert, das war unfassbar und überraschend. Wieder einen Sohn bekommen zu dürfen, das machte das junge Glück das ich seit 2 Wochen fühlte plötzlich noch viel stärker. Ja so sollte es sein, es ist fair und gerecht dass wir wieder einen Sohn bekommen. Wir träumten doch von einem grossen Bruder und einer kleinen Schwester und jetzt können wir diesen Traum weiter träumen.

Ungefähr zu dieser Zeit bekam ich auch mehr Energie und ging es mir körperlich besser. Wenn es mir körperlich gut geht dann geht es mir psychisch auch meist besser und so war es jetzt auch. All die Ängste waren wie weg geblasen. Das kam wohl auch dadurch dass Rene und ich den kleinen seit der 15. SSW beide jeden Tag fühlen können. Ich musste keine Angst mehr haben dass sein Herz nicht mehr schlägt denn wenn ich seine Tritte fühle weiß ich dass alles gut ist. In mir wächst gerade ein sehr sportlicher Bursche, ich sagte schon scherzhaft dass ich mehr Eiweiß essen muss damit seine Muskeln auch gut wachsen. Der Kleine kann manchmal so hart treten dass wir uns richtig erschrecken.

Das grosse Organscreening hatten wir 2 Mal aber auch hier hatte ich irgendwie keine Angst mehr vor. Psychisch war der erste Termin allerdings heftig weil er im Krankenhaus stattfand in dem Joep gestorben ist und in den wir so lange nicht mehr waren. Eine Herzspezialistin hat sich sein Herz und auch sonst alles gut angeguckt und sagte alles sieht perfekt aus. Joeps Herzfehler war natürlich nicht erblich aber es tat gut zu hören dass wirklich alles okay war, und das aus der Universitätsklinik die auf Herzfehler spezialisiert ist. Den nächsten Termin hatten wir im Krankenhaus in dem Joep auch geboren wurde und in dem wir diese Schwangerschaft zur Kontrolle sind. Auch hier sah alles einfach richtig gut aus und wir konnten uns beim Screening auch aufs Schöne konzentrieren. Wir bewunderten seine kleine Nicht die aussieht wie joeps Nase und lachten dass er immer gegen den Ultraschallkopf boxte. Unser kleiner Boef fand das wohl lustig, er hat halt schon seinen eigenen Kopf. 

Ansonsten arbeite ich jetzt wieder Vollzeit und bin sogar wieder beim Kunden eingesetzt was zum Glück bedeutet dass ich wieder in Den Haag arbeite und viel weniger lange unterwegs bin. Vollzeit arbeiten klappt gut aber ich merke dass ich Urlaub brauche. Das ist allerdings zu dieser Jahreszeit ganz normal, der letzte Urlaub war kein richtiger Urlaub und ist schon wieder ein halbes Jahr her. Weihnachten sind wir geflohen und ich hatte eine Fehlgeburt, der Urlaub tat uns gut aber es fühlte sich halt nicht an wie Richtiger Urlaub. Und hiervor war der letzte Urlaub der Sommerurlaub als ich geerade schwanger von Joep war. Ich habe zwar nicht viel gearbeitet im letzten Jahr aber mein Leben war so viel schwerer als jemals zuvor. So viel schwerer als wenn ich einfach arbeiten gegangen wäre. 

Irgendwie kann ich mir noch nicht vorstellen dass wir in ein paar Monaten ein Baby zuhause haben. Wenn ich es ganz genau nehme bin ich jetzt zum 3. mal schwanger und ich habe kein Baby zuhause. Warum sollte das jetzt anders sein? Es ist wirklich schwer zu beschreiben, ich habe keine Angst dass er sterben könnte, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen aber ich kann mir auch nicht vorstellen dass wir bald ein Baby im Haus haben. Unser Haus ist ja schon seit mehr als 1,5 Jahren bereit, alle Babysachen stehen bereit und warten auf ein Baby... Vielleicht hilft es wenn wir was mehr Babysachen im Schlaf- und Wohnzimmer stehen haben aber bis jetzt lebe ich wirklich von Tag zu Tag. Wir fahren bald in Urlaub und danach bin ich im 3. Trimester. Würde der Kleine heute geboren werden hätte er eine 50%ige Chance zu überleben. Die Wahrscheinlichkeit dass es jetzt noch schief geht wird von Tag zu Tag kleiner aber trotzdem kann ich mir noch nicht vorstellen dass wir bald ein Baby im Haus haben. Ich versuche mich daran zu erinnern wie das bei Joep war, ob ich das zu dem Zeitpunkt schon konnte, ich freute mich sicher und zählte die Wochen aber ob ich mir vorstellen konnte wie es ist ein Baby im Haus zu haben weiss ich nicht mehr. Ich zähle auch jetzt die Wochen und freue mich über jede Bewegung im Bauch.

Ausserdem mache ich mir seit diesem Wochenende Sorgen ob ich nicht zu viel Stress habe. Auch in der Schwangerschaft mit Joep hatte ich Angst dass der Stress nicht gut sein könnte aber jetzt ist es anders, ich fühle mich nicht gestresst, ich glaube ich erkenne Stress gar nicht mehr. Trauer ist für unsere Körper Stress, Stress ist schlecht fürs Baby, aber Dauerstress ist im letzten Jahr das normalste der Welt für mich geworden. Ich fühlte mich nie gestresst, ich trauer! Aber es scheint den gleichen Effekt auf meinen Körper zu haben, ob ich es fühle oder nicht, es ist nicht gut für den Kleinen und Vollzeit arbeiten bedeutet doch vielleicht auch extra Stress?

Rene hat seit Freitag Rückenschmerzen die auf Stress zurück zu führen sind, auch Rene hatte keine Ahnung dass er so viel Stress hatte. Er trauerte und arbeitete, fühlte sich erschöpft aber nicht gestresst und jetzt haben wir Freitag zu hören bekommen das die Ursache für seine Schmerzen Stress ist. Das hat mich unsicher gemacht, was wenn ich auch viel mehr Stress in meinem Körper habe als ich denke? Was wenn Vollzeit arbeiten schlecht für den kleinen Mann ist? Freitag habe ich einen Termin beim Gynaecologen und dann werde ich das besprechen.

Aber alles in allem geht es mit in dieser Schwangerschaft jetzt wirklich gut. Ich bin froh dass ich keine Ängste mehr habe die ich auch nicht bei Joep hatte, dass ich mir nicht den ganzen Tag Sorgen mache und total Unsicher bin. Ich bin sogar optimistisch dass ich mich in den nächsten Wochen wirklich an den Gedanken gewöhnen kann dass wir bald ein Baby zuhause haben und ich den Kleinen immer besser kennen lernen werde, von seiner Zukunft träumen werde. Wir werden die besten Eltern für ihn werden die sich ein Kind nur wünschen kann!

03.06.2017

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten unserer Trauer

Männer und Frauen trauen unterschiedlich. Wie oft haben wir das nicht schon gehört und gelesen. Und ja, Rene und ich trauern unterschiedlich aber diese Unterschiede haben uns nie gestört. Jede Mama die ich bis jetzt kennen gelernt habe trauert auch anders als ich und trotzdem fühle ich diese Verbundenheit.

Rene trauert also auch anders als ich, aber von Anfang an waren die Gemeinsamkeiten in unserer Trauer viel wichtiger für mich als die Unterschiede. Wir haben und hatten immer viel Respekt füreinander und respektierten auch die Trauer des anderen. Wir waren füreinander da wenn wir es konnten und wenn wir es nicht konnten akzeptierte der Andere das. Diesen Freiraum den wir uns in unserer Trauer gaben war vermutlich sehr wichtig für unsere Beziehung. Hierdurch gab es nie Probleme zwischen uns.

Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team was unsere Trauer betrifft und auch Rene sieht eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede.

Rene hatte anfangs sehr stark das Bedürfnis alleine zu sein. Etwas was ich nur schwer ertragen konnte. Ich wollte bei Rene sein, am liebsten den ganzen Tag und dann nicht nur in der selben Wohnung, ich wollte neben ihm sitzen, ich konnte nicht alleine in einem Raum sein. Wenn er mich festhielt fühlte sich die Leere weniger schwarz an, dann gab es einen winzig kleinen Lichtpunkt an den ich mich klammern konnte. Aber für Rene war es genau umgekehrt. Ihm war einfach alles zu viel und er war schon immer so dass er dann am liebsten alleine ist, er macht es mit sich selbst aus. Er brauchte die Ruhe und sehr schnell auch die Ablenkung die er in allen möglichen Ipad Spielchen fand während ich nur an Joep denken konnte, mich schrecklich fühlte wenn ich ein paar Minuten nicht an ihn dachte. Das war anfangs sehr schwierig für uns, wir brauchten quasi das Gegenteil voneinander und hatten nicht die Kraft uns durch zu setzen. Aber wir erkannten sehr schnell was der andere brauchte und entwickelten ohne Worte, ganz intuitief eine Strategie wie wir hiermit umgingen. Wenn ich die Kraft hatte etwas zu unternehmen oder raus zu gehen ging ich ohne Rene und gab ihm die Ruhe die er brauchte. Ich gehe früher ins Bett als Rene, so dass er Abends Ruhe hat. Auch mittags entschied ich mich oft mich im Schlafzimmer hin zu legen während Rene im Wohnzimmer auf der Couch sass. Sobald es Frühling wurde sass ich viel auf dem Balkon in der Sonne, mir tat die Sonne gut, für Rene war die Sonne Horror. Er konnte es nicht ertragen dass die Welt so friedlich und gut aussah während er sich so schlecht fühlte also sass er im abgedunkelten Wohnzimmer und ignorierte dass die Welt sich weiter drehte, dass es Sommer wurde.

Was für mich sehr schwer war war dass Rene auch alleine sein wollte wenn er weinte. Wenn ich zu ihm kam um ihn zu trösten hörte er auf zu weinen obwohl er gar nicht aufhören wollte, er konnte nicht weinen wenn ich ihn anfasste oder andere Menschen außer mir in seiner Umgebung waren. Also lernte ich ihm den Raum zu geben, ihn weinen zu lassen. Erst nach Minuten fragte ich ob ich ihn anfassen durfte und wenn er soweit war sagte er ja. Wenn ich ihn weinen sah musste ich oft mitweinen und auch dann hörte Rene auf zu weinen und tröstete mich. Also lernte ich leise und ausserhalb seiner Sicht zu weinen, irgendwie haben wir gelernt damit um zu gehen und haben unseren Weg hierin gefunden. Rene kann mittlerweile auch weinen wenn ich ihn festhalte, wir können zusammen weinen. Wenn ich weinte kam Rene immer sofort angelaufen. Manchmal liege ich schon im Bett und rufe Rene der im Wohnzimmer sitzt weil ich noch etwas sagen will und meistens kann er mich nicht hören, aber er hörte mich immer weinen und kam dann sofort zu mir und hielt mich bis ich mich wieder beruhigte oder weinend einschlief. Dann sagte er mir wie sehr Joep mich liebt und was für eine tolle Mama ich bin.

Von Anfang an redeten wir aber auch sehr viel über Joep und unsere Gefühle. Wie fast alle Frauen war mein Bedürfnis zu reden viel grösser als das von Rene. Wenn es ihm zu viel wurde unterbrach er mich und das war okay. Wir unterbrachen uns gegenseitig oft in solchen Gesprächen weil wir Ruhe brauchten und wir akzeptierten das immer.

Wir waren oft überfordert und Kleinigkeiten wurden uns zu viel. Dann waren wir gereizt und waren gemein zu einander ohne dass der andere etwas falsch gemacht hatte. Wir verstanden beide dass das nicht persönlich gemeint war und stritten nicht darum. Wir entschuldigten uns oft aber das war eigentlich nie nötig. Wir verstanden auch ohne Worte warum der andere reagierte wie er reagierte.

Rene ist der liebste Mensch den man sich vorstellen kann und ich kenne ihn gar nicht böse. Manchmal reagierte er jetzt so sauer dass ich erschrak, das war nicht mein Mann. Aber meine ganz natürliche Reaktion war dann dass ich ihn auslachte. Warum schreist du mich an nur weil ich das Internet neu gestartet habe? Ja dein online-game, daran habe ich nicht gedacht, ich verstehe du hast gerade wegen mir verloren, frustrierend... Aber du schreist und beleidigst mich? Ich konnte es nicht fassen und ich lachte ihn aus, ich lachte richtig laut, Minuten lang und Rene lachte mit mir weil er wusste dass er übertrieben hat und dass es nicht zu ihm passt, wie albern seine Reaktion war. Aber ich war auch wirklich nicht besser als er, auch ich schrie ihn manchmal an nur weil mir was aus der Hand fiel und ich ihm die Schuld gab obwohl er keine Schuld hatte. Ich war dann so überfordert und den Boden wieder sauber zu machen war mir einfach zu viel, wenn Rene mir dann nicht helfen kam war ich unfassbar sauer und ich weinte aus Verzweiflung weil mir einfach nichts gelingen wollte. Aber auch Rene verstand mich, er lachte mich zum Glück nie aus, er half mir so gut es ging und dann beruhigte ich mich auch schnell wieder.

Die meiste Zeit aber sassen wir zusammen im Wohnzimmer und waren ein perfektes Team mit viel Respekt und Liebe für einander.  Der Haushalt war meine Aufgabe und das war okay, Rene kochte ab und zu und sorgte dafür dass wir relativ gesund aßen. Wenn wir nicht die Energie hatten zu kochen dann bestellte ich online etwas zu Essen und Rene machte die Türe auf. Er hatte nicht die Energie zu bestellen und ich konnte mir nicht vorstellen die Türe zu öffnen und jemand anderen zu sehen. Alles lief wie von selbst.

Es gab aber wie gesagt vor allem Gemeinsamkeiten. Wir reden beide sehr gerne über Joep. Wir lieben ihn wie niemand anders ihn lieben kann. Nur wir kennen den Schmerz des anderen und das hat uns gestärkt. Wir sagen beide so oft dass wir Joep lieben, wie schön er ist und wie perfekt. Joep ist und bleibt unser liebstes Gesprächsthema. Rene schaffte es schneller als ich wieder zu arbeiten, dafür schaffte ich es den Haushalt zu machen und mich mit Freunden und Familie zu treffen. Die Balance stimmte, wir waren meistens auf dem gleichen Weg. Auch heute denke ich dass wir in der Trauer ungefähr gleich weit sind, wir gleich viel schaffen.

Ich ging zu einer Trauerpsychologin, Rene ging nicht und auch da waren wir uns einig dass es nicht nötig ist. Ich ging nur zur Kontrolle, ich musste von jemandem hören dass wir alles richtig machen dem ich vertrauen konnte. Bei den Treffen erzählte ich dann wie es uns geht, was wir zuhause machen. Wenn ich zuhause ankam erzählte ich immer wie das Gespräch war und Rene nahm alles an was ich sagte. Wir arbeiteten zusammen daran wieder glücklich zu werden und schlugen den gleichen Weg ein. Diesen Weg gehen wir noch immer gemeinsam, wir verstehen uns ohne Worte und wir sind sehr gut füreinander. Die Liebe die wir für Joep und für einander empfinden ist so stark dass wir sicher sind alles zu schaffen. Mehr als 50% der Beziehungen zerbrechen nach dem Verlust seines Kindes aber nicht unsere. Rene und ich bleiben immer zusammen, für immer, davon bin ich heute noch genauso überzeugt wie ich es vor 12 Jahren war. Einmal perfekt, immer perfekt. Und hoffentlich dürfen bald ein paar perfekte Kinder bei uns wohnen.