23.07.2018

Das erste letzte Foto

Ich bin wie betäubt. Ich laufe aus dem Zimmer in dem ich gerade die Nachricht bekommen habe die mein Leben für immer verändern wird. Taub bin ich, leer. Voller Angst vor dem was noch kommt. Du wirst sterben. Sie haben es entschieden. Ich bin deine Mama und ich kann nichts tun. Ich kann dich nicht retten. Ich kann nicht verstehen. 


Ich weiss nur eins. Ab jetzt zählt jede Minute mit dir. Ich gehe zu deinem Bett. Zu dir. Wissend das ich das nicht mehr oft kann. Es ist Freitag. 


Montag morgen wurdest du geboren. Mein Bauch ist seit heute morgen flach. Die Milch seit dieser Nacht da. Dienstag wirst du sterben. 


Ich gehe zu dir. Ich kann es nicht glauben. Wie soll ich dir das erklären? Das du von uns gehen musst? Bevor du überhaupt richtig angekommen bist. Bevor ich dir auch nur zeigen konnte wie sich frische Luft in der Lunge anfühlt.


Ich mache dieses Foto. Das erste Foto von dem ich weiss das es eins der letzten sein wird. Das erste Foto von dem ich weiss ich brauche es als Erinnerung. Ich darf dein hübsches Gesicht nicht vergessen. 


Was macht eine Mutter sie gerade gehört hat das ihr Kind sterben wird? Sie macht ein Foto. Sammelt Erinnerungen.

14.07.2018

Überraschungsfamilienfoto

Mein Schwiegervater hatte gestern Geburtstag. Als René ihn gestern abend anrief zum gratulieren erwähnte er auch das er gerne ein Foto von allen Enkelkindern hätte. BAM. Der sass... Unerwartet. René dachte: das geht nicht... Er wird niemals ein Foto von allen geben, Joep kann nicht dabei sein. Er sagte nichts. Er sagte auch mir nach dem Telefonat nichts davon um mich nicht zu verletzen. Vielleicht hatte er Angst ich würde nicht auf den Geburtstag gehen wenn ich es weiss? Vielleicht tat ihm der Gedanke einfach zu weh um darüber zu reden.

Mein Schwiegervater wohnt am anderen Ende des Landes. Wir haben uns ein Hotel genommen. Der Tag war gut. Schön. Alles lief gut. Meine Schwägerin ist schwanger. Deutlich schwanger und ich war so erleichtert das ich den Bauch gut ertragen konnte. Das dicke Bäuche mir nicht mehr so weh tun. Das Enkelkind der Freundin meines Schwiegervaters das ein dreiviertel Jahr nachdem Joep starb geboren wurde habe ich das erste mal gesehen. Und auch das habe ich gut weg gesteckt. Ich habe nicht viel daran gedacht wie sehr Joep fehlt. Ein paar mal dachte ich daran wie es wohl wäre... Mit Joep. Wie gross Joep wohl wäre. Ein halbes Jahr älter als unsere Nichte, ein dreiviertel Jahr älter als das kleine Mädchen. Und ich habs ausgehalten und es fühlte sich nicht so schlimm an wie noch vor einem Jahr. Als der Gedanke mit ihnen einen Geburtstag am anderen Ende des Landes zu feiern sich noch anfühlte wie etwas das ich nicht schaffen kann und will. Wovor ich mich/uns schützen musste. 

Es war also ein guter Tag. Mit dem Auto quer durch die Niederlande. Der Stau hielt sich in Grenzen. Wir machten zwei Pausen. Gingen auf dem Markt in Renes Heimatstadt was essen, in seinem Lieblingsrestaurant von Markt. Mit Joeps Bruder. Und wir dachten darüber nach wann wir das letzte mal hier waren. Da war ich schwanger von Joep. So lange ist es her. So lange...

Danach fuhren wir noch zu meiner Schwiegermutter und von da aus ins Hotel. Der Boef trank und schlief noch bevor es dann zum Geburtstag ging. Und schon bald hörte ich die Freundin meines Schwiegervaters sagen dass sie gerne ein Foto von allen Enkeln wollte. Unterbewusst verdrängte ich es. Nicht dran denken. Aber dann wurden am Abend doch noch alle Enkel zusammen getrommelt. Ein Foto von allen. Und ich war nicht vorbereitet. Setzte Joeps Bruder auf den Schoss meiner 16 jährigen Nichte und wünschte ich hätte etwas symbolisches für Joep dabei. Damit er auf seine Art dabei sein konnte. Hatte ich aber nicht. Hatte ich nicht. Seine Katze lag im Hotel. Die ist immer in meine Tasche... Aber sie lag im Hotel. 

Nachdem das Foto gemacht wurde sagte die Freundin meines Schwiegervaters zu meiner schwangeren Schwägerin das nächstes Jahr ein Foto mit ihrem Baby dabei gemacht wird und das sie dann komplett seien. BAM. Sofort guckte sie mich an und sagte das sie natürlich nie komplett seien. Das einer immer fehlt. Und ja verdammt nochmal. Joep fehlt. Immer. Jede Minute meines Lebens. Auf jedem verdammten Foto. 

Und dann war sie da. Die Trauer. Zusammen mit den Tränen. Den Blicken die nicht verstanden. Den Blicken denen ich ansah das sie erst einmal darüber nachdenken mussten warum ich weinte. Darüber nachdenken mussten was denn gerade der Grund war für meine Tränen. Niemand ausser René der es verstand. 

Hätte ich es nur gewusst... Hätte ich es gewusst. Ich hätte Joep mit ins Foto integriert. Aber ich wusste es nicht. Er war nicht dabei. Nicht mal symbolisch. Kein Regenbogen im Foto, keine Katze.

Es wurde noch ein Foto von allen gemacht. Der ganzen Familie. Auf diesem Foto hatte ich Joeps Bruder  auf meinen Schultern. Ich hielt meine Hände in seinem Rücken damit er gut und sicher sitzt. Damit man mein Tattoo und die Fußabdrücke von Joep sieht. Damit er wenigstens auf diese Art und Weise mit auf dem Foto ist. 

Fotos... Familienfotos... Es wird immer schwer bleiben. 

Joep du fehlst so. Jeden Tag. Bei allem. Auf jedem Foto. Bei jedem Atemzug. 

07.07.2018

Ich liebe ihn so so so sehr

Gerade habe ich den Boef nach seinem abendlichen 10 Uhr trinken ins Bett gebracht. Ja richtig gehört, in sein Bett, in seinem Zimmer. So geht das hier jetzt nämlich.

Er ist beim Stillen wieder eingeschlafen und wie er so in meinem Arm lag und ich ihn in sein Zimmer getragen habe überkam mich die Liebe. Ein warmes Gefühl. So unglaublich schön. Glückstränen in meinen Augen. Ich gehe in die Küche, René kocht gerade und ich sage ihm wie sehr ich den Boef liebe. Mein Blick schweift durch den Raum. Von René in der Küche rüber zum Wohnzimmertisch. Dabei sehe ich Joeps Foto an der Wand. Ein grosses Foto mit seinem schönen Gesicht, nicht zu übersehen, aber hängen bleibt mein Blick erst bei seinem Fotobuch das wie so oft aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch liegt. Ich höre meine Worte noch, meine Glücksträne kullert noch über meine Wange: 'ich liebe ihn so so so sehr'. Ich sehe Joeps Fotos, schlinge meine Arme um meine Brust, wie von selbst geht das. Meine Arme die ins Leere fassen, beim Gedanken daran wie sie Joep das letzte mal gehalten habe. 'Und Joep' sage ich. 'Joep liebe ich auch so so so sehr'. Mich selbst umarmend. Eine leere Umarmung. Und zu meiner Glücksträne gesellen sich wie so oft auch Trauertränen.

Ich denke an ein Gespräch heute Abend, als Boef gerade erst im Bett lag vor ein paar Stunden. Wie René sagte: 'unglaublich das wir ein Kind haben - zuhause' in mir verkrampfte es sich bei den Worten 'ein Kind'. Bevor ich etwas sagen konnte sprach René weiter: 'unglaublich das eins im Himmel ist.' Und wieder wusste ich er spürt genau was ich gerade spüre. Ich sagte 'unglaublich das wir nicht zwei zuhause haben'. Mehr sagten wir nicht, wir fühlen einander an. Wir wissen was der andere denkt und fühlt. 

So viel Liebe gibt es in unserem Haus. So viel Liebe für einander. So viel Liebe für unsere Kinder. 

Als ich aus der Küche zurück ins Bett ging hörte ich René sagen: 'ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt wie meine Kinder'. Ich auch nicht... Nie habe ich jemanden mehr geliebt als meine Söhne. 

Niemals werden Glückstränen laufen ohne das sich Trauertränen dazu gesellen. Glück und Traurigkeit liegen so unfassbar nah zusammen in unserem Leben.

Gute Nacht Joepi, mein wunderschöner perfekter kleiner Mann. Schlaf gut auf deiner Wolke mit deinem Sternenlicht. Mama und Papa lieben dich. Morgen besuchen wir dich 💙