22.08.2018

Alles ist wieder gut

Wir befinden uns in Joeps Woche. 2,5 Jahre... Unglaublich. Morgen ist es 2,5 Jahre her das er in unseren Armen starb. 

Wir haben wieder ein Baby. Einen kleinen Bruder. Und wieviel Glück er uns schenkt. 

Man sieht was man sehen will und jeder sieht lieber Glück als Traurigkeit. Wir strahlen mit Boef um die Wette. Die Liebe in unserer Familie ist so sichtbar.

Und genau das ist der Grund weswegen die Welt denkt alles ist wieder gut. Joep ist so lange tot. Wir haben den kleinen. Wir strahlen wieder. 

Zumindest haben wir das Gefühl das die Welt so denkt. Mit der Geburt von Joeps Bruder fing es an. Anfangs gab es noch Verständnis. Wie schwer muss es sein jetzt zu erleben was wir alles bei Joep verpasst haben. 

Aber mit der Zeit fragt man nicht mehr wie es uns geht. Und das obwohl René es momentan wirklich schwer hat. Und das obwohl wie noch jeden Tag um Joep trauern. Ihn vermissen. Immer vor Augen haben was uns fehlt. Er ist allgegenwärtig. Es vergeht kein Tag an dem sein Name nicht genannt wird.

Wie kann alles gut sein ohne Joep? Unmöglich! Wir haben Glück im Unglück. Wir sind oft glücklich. Aber Joep wird immer fehlen. Richtig gut kann es mir mehr werden. Der kleine 2,5 jährige an meiner Hand fehlt. Jeden Tag, jede Minute. 

Der Boef ersetzt nichts. Niemanden. Kann und soll er auch nicht. 

Viele Teile unseres Lebens sind schön und wir sind dankbar dafür. Wir wissen das wir viel Glück haben. Aber Joep ist auch Teil unseres Lebens und dieses Stück wird niemals gut werden. Er wird immer fehlen. Er wird immer geliebt werden.

Manchmal wäre es einfach schön zu spüren das unser Umfeld das versteht. Aber das versteht wohl nur wer uns online verfolgt. Menschen die uns neu kennen lernen haben keine Ahnung. 

Ach wieviele Menschen es gibt die uns beneiden. Für unsere Beziehung. Für das Leben das wir uns aufgebaut haben. Für Joeps Bruder der so lieb und aufgeweckt und kuschelig (und schön, kein Blogeintrag ohne zu erwähnen wie schön meine Kinder sind) ist. Wenn die nur wüssten was uns fehlt. Wenn Sie nur erahnen würden das der Boef ein kleiner Bruder ist. Aber Verlust und Trauer sieht man uns nicht an. Ein Stück weit bleibe ich immer diese unsichtbare Mama zu der Joep mich gemacht hat. 

07.08.2018

Ich will dich vor allem beschützen

Ach Boefi,

alles was ich will ist dich beschützen. Niemals sollst du so traurig sein müssen wie Mama und Papa es waren. Du sollst glücklich werden. So unglaublich glücklich wie wir es einmal waren. Ich will dir alles geben um das zu erreichen. Wir werden aus dir einen Menschen machen der zurecht stolz auf sich sein kann. Der sich selbst lieben kann. Der zufrieden ist mit sich ist.

Ach Boefi, ich will das aller beste für dich. Dich wirklich vor allem schlechten, allem traurigen beschützen. Aber laufen lernst du indem du fällst und immer wieder auf stehst. Ich kann dich nicht davor beschützen dass du fällst, nicht immer. Ich bin nicht immer da wenn ein anderes Kind dich beißt. Du bist so hart im nehmen. So hart... Wenn mein Herz blutet weil du dir weh getan hast weinst du schon lange nicht mehr. Wenn ich noch geschockt darüber nachdenke was alles hätte passieren können lachst du schon wieder und kuschelst.

Ich kann und darf dich nicht vor allem beschützen. Du musst Fehler machen, du musst traurig sein dürfen. Du musst das alles selbst lernen. Nur so kannst du ein selbst reflektierter Mensch sein, nur so lernst du aus deinen Fehlern und wirst du verstehen.

Aber mein Schatz, ich konnte deinen Bruder nicht beschützen und vielleicht tut es meinem Mamaherzen gerade darum so weh dich fallen zu sehen. Auch wenn du gleich wieder kuschelst und zufrieden bist. Ich will dich glücklich sehen. Immer. Du hast das schönste und ansteckenste Lachen der Welt. Deine Tränen tun mir weh, auch wenn ich weiss wie wichtig sie sind und dass sie dazu gehören.

Ich versuche dir die beste Mama der Welt zu sein. Und die beste Mama der Welt weiß dass Fehler machen dazu gehören. Das auch ich Fehler machen muss, damit du siehst wie ich damit umgehe. Damit du siehst das Fehler machen normal ist und dazu gehört. Nicht nur zum groß werden, sondern auch zum Leben. Wir alle machen Fehler.

Ach Boefi... du wunderschöner kleiner Lockenkopf. Ich wünsche mir so sehr das du dein ganzes Leben lang auf die Frage ob du glücklich bist mit ja antworten kannst. Aus Überzeugung.

Jede Mama will ihr Kind beschützen. Jede Mama würde am aller liebsten all den Schmerz ihrer Kinder auf sich nehmen. Ich würde mein Leben für meine Kinder geben.  Ich liebe euch.

Könnte ich dich nur vor allem beschützen, wäre das nur das Beste für dich. Dann wäre mein Leben ein Stück sorgenfreier.


02.08.2018

Endlich eine halbe Stunde Zeit für die Trauer

Trauer kommt und geht wie sie es will. Man kann sie nicht beherrschen. Geht nicht, oder? Oder kann man sie doch unterdrücken? Über Monate? Vor einem halben Jahr hätte ich gesagt das ist unmöglich. Und doch sitze ich hier. Dieses Jahr war anders. Anfangs unglaublich schwer. Uns ging es schlecht. Dann irgendwann ging es mir wieder besser und ich konnte stark sein. Stark für meine Männer.

Ich ging wieder arbeiten. Jetzt musste ich stark sein. Joeps Bruder musste in die Kita. Ich musste arbeiten. Rene musste ich schonen. Und ich konnte, ich kann. Was ich aber nicht konnte war das ganze mit meiner Trauer zu verbinden. Ich kann wieder funktionieren. Ich kann dafür sorgen das zuhause alles läuft. Ich kann arbeiten, eine gute Mama sein, eine okaye Ehefrau sein. Aber ich kann nicht gleichzeitig trauern wenn ich alles andere machen muss. Und deswegen weiß ich nicht ob ich im letzten halben Jahr so richtig geweint habe. Um Joep. Ja, Tränen liefen vereinzelt. Alle 2 Wochen mal ein paar Tränen. Oft weil ich so gerührt war das so viele Menschen an Joep denken. Selten weil das vermissen so weh tat das ich kaum atmen konnte. Und wenn es so war dann gab es da Joeps Bruder oder die Arbeit oder Rene die mich brauchten. Dann wurden die Tränen weg gewischt. Der Boef soll uns nicht zu oft weinen sehen. Er soll eine glückliche Kindheit haben. Ohne diesen Schatten der Trauer der über meinem Leben liegt. Er soll auf der Sonnenseite aufwachsen. Joep lieben auf eine kindlich schöne Art und Weise. Er soll uns nicht trösten müssen. Mamas und Papas trösten ihre Babys und nicht anders rum.

Und so vergingen die Monate. Ohne Zeit und Raum für die Trauer. Die Trauer ist ein guter Freund für mich geworden. Ich vermisste sie. Ständig. Ein Teil von mir fehlte. Kollegen die mich kennen lernten sahen nur die glückliche Imke. Dabei gibt es die glückliche Imke doch gar nicht ohne die traurige.

Jetzt hatten wir Urlaub, genau genommen habe ich diese Woche noch Urlaub aber es fühlt sich schon an als sei er vorbei. Rene arbeitet diese Woche wieder 2 Tage. Joeps Bruder ist 2 halbe Tage in der Kita zur Eingewöhnung (was er übrigens soooo toll macht. Ich bin so stolz). Heute morgen haben Rene und ich den kleinen also in die Kita gebracht. Die neue Kita ist auch ganz nah an meiner Arbeit was bedeutet das wir von zuhause ca 30 Minuten bis zur Kita fahren. Gegen halb 9 waren wir wieder zuhause. Genau eine Stunde Zeit hatte ich bevor ich wieder zurück musste zum stillen. Rene und ich haben uns kurz im Arm gehalten, auf der Couch gesessen. Durchatmen, wir haben beide einen schweren Tag. Sind gestern Abend beide schon traurig ins Bett gegangen. Und dann gingen wir zu Joep. 10 Minuten hin laufen. An seinem Grab sitzen und wissen jetzt sind wir zum ersten mal seit Joep ein großer Bruder ist alleine hier. Zum ersten mal kein Baby das unruhig wird. Zum ersten mal Zeit für uns drei. Wir habe Videos von Joep geguckt. Ich wollte fühlen. Jetzt. Ich brauchte die Trauer. Schon gestern Abend liefen die Tränen aber halt nicht richtig, nur vereinzelt.

Wir sahen die Videos von Joep. Oh man was ist er schön. Oh man was waren wir glücklich. Was für eine perfekte kleine Familie. Ich konnte nicht alle Videos gucken. Ich wusste gleich kommen die Videos in denen wir Abschied nehmen. In denen wir wissen er muss sterben. In denen es keine Hoffnung mehr gibt für die Zukunft.

Und dann war sie da. Die Trauer. Die Tränen. Das im Arm halten und zusammen schluchzen. Um unseren liebsten und schönsten Joep. Um unser Glück. Und bevor es richtig angefangen hat gucke ich auf die Uhr und sehe ich dass wir wieder los müssen. Joeps Bruder bekommt Hunger. Um halb 11 wird er gestillt. Es ist mir so wichtig das er gerade zur Eingewöhnung um genau halb 11 gestillt wird. Er sich auf mich verlassen kann.

Gerade schüttelt uns die Trauer noch. Gerade schüttelt unser Körper sich noch unter unseren Tränen. Jetzt versuchen wir sie weg zu wischen. Jetzt bemerken wir erst das wir keine Taschentücher mehr am Grab haben. Zum Tränen weg wischen. Zum Nase putzen. Die liegen doch sonst immer bei den Teelichtern. Wann haben wir die aufgebraucht? Wann haben wir zum letzten mal am Grab geweint?

Weinend laufe ich über den Friedhof in Richtung Ausgang. Leer fühle ich mich. Noch nicht bereit zu gehen. Weg, weg von Joep. Wie ein Magnet zieht es mich zurück zum Grab. Ich bleibe ein paar mal stehen. Gucke in seine Richtung. Bedanke mich bei ihm für die Sonne. Wische meine Tränen weg. Dabei bin ich doch noch gar nicht richting angekommen in der Trauer. Ich habe einfach zu wenig Zeit.

Ich sage immer wieder: Ich liebe dich Joep, ich liebe dich Joep, ich liebe dich Joep. Um zu fühlen. zu realisieren das die Liebe da ist, sie zu spüren, ganz bewusst. Zu spüren das es Joep gibt, gab. Das er Teil unseres Lebens ist. Unser Leben. So falsch ist unser Leben denke ich. Ich will dieses Leben nicht. Ich sage es laut. Ich sage zu Rene das ich dieses Leben nicht will. Ich hasse es. Ich will beide meine Söhne bei mir haben. Warum wir? Warum Joep? Warum? Warum denn nur? Warum frage ich ihn. Darauf werden wir nie eine Antwort bekommen sagt Rene. Recht hat er. Ich hasse es das er Recht hat, meine angestaute Trauer der letzten Monate sucht sich gerade einen Weg und will keine vernünftigen Antworten hören. Kann es nicht akzeptieren das es so ist wie es ist.

Wir laufen zum Tor vom Friedhof. Ich weiß ich muss die Trauer jetzt hier lassen. Weine meine letzten Tränen. Wische sie weg. Ja das kann ich mittlerweile. Die Trauer ausstellen, den Tränen verbieten zu laufen. Es geht also doch denke ich.

Auf der Strasse sind wir leise. Hand in Hand. Mit leere Hände laufen wir nach hause, wie nach der Beerdigung von Joep. Wir haben ihm doch versprochen wieder glücklich zu werden sagt Rene. Ja sage ich, aber da hatte ich doch keine Ahnung das ich ihm etwas verspreche das unmöglich ist sage ich. Als ich es versprach dachte ich wirklich das das geht. Wieder 100% glücklich werden. Aber das geht nicht. Nie mehr werden wir so glücklich sein wie wir es waren. Aber wir geben unser bestes so glücklich zu werden wie es halt eben geht. Das maximale raus zu holen. Für Joep, wir haben es ihm doch versprochen. Und für seinen kleinen Bruder. Sie verdienen doch glückliche Eltern. Der Boef verdient eine tolle Kindheit, Glück und Freude und glückliche Eltern.