27.05.2017

Unverständnis - das kann doch alles nicht wahr sein?

Immer wieder gibt es diese Momente voller Unverständnis. Dann will mein Kopf einfach nicht verstehen wie das passieren konnte. Wie kann es sein das mein Sohn tot ist. Wie?

Dann kann ich es kaum glauben, fühlt es sich an als ob wir einfach immer noch auf ihn warten. Ich denke nicht dass ich jetzt im Moment schwanger von Joep bin, das ist es nicht. Aber irgendwie ist er nie zuhause angekommen und davon haben wir doch geträumt. So sehr geträumt. Und diese Träume lassen sich nur schwer vergessen, also wartet irgendwas in mir auf ihn. Auf den Moment in dem wir wieder zusammen sein können.

Sein Bett ist leer und ich will dass er endlich zuhause ankommt, in seinem Bettchen schläft, mit seinen Sachen spielt und endlich bei uns ist. Aber ich weiss auch so genau dass das niemals passieren wird. Joep wird niemals Zuhause ankommen, niemals werden all diese Zukunftsträume die ich für ihn hatte Wirklichkeit werden um dann zu Erinnerungen zu werden. Es werden immer Träume und Hoffnungen bleiben und ich verstehe einfach nicht wie das passieren konnte, wie es uns passieren konnte. Sowas passiert einem doch nicht selbst! Es kann doch nicht wahr sein dass mein perfekter kleiner Joep tot ist... Mein kleiner Mann wird niemals Zuhause ankommen und manchmal kann ich es einfach nicht verstehen. Ich weiss dass es so ist, ich begreife es, ich lebe es jeden Tag, aber verstehen kann ich es nicht.

Ich trauere um all die Momente die wir nie auf dieser Erde erleben dürfen. All die Momente die Erinnerungen hätten werden sollen und es niemals werden.

Ich hoffe dass wir irgendwann wieder zusammen sind und vielleicht werde ich es dann endlich verstehen.

26.05.2017

Regenbogenbaby

Regenbogenbaby - so nennt man die Kinder die nach dem Verlust geboren werden. Nach dem Regen und Sturm kommt wieder Sonnenschein ins Leben und mit ihm in der Natur so oft ein Regenbogen. Das ist der Gedanke hinter dem Begriff Regenbogenbaby. Der Regen und Sturm schwächt ab und lässt die Sonne ab und zu durchscheinen, genug Sonne für einen Regenbogen.

Also erwarten wir wohl unser Regenbogenbaby, aber für mich passt dieser Begriff einfach nicht. Joep ist mein Regenbogenbaby. Joep hat den Regenbogen als sein Zeichen ausgewählt und vielleicht hat er sogar gewollt dass er grosser Bruder wird und so auf lange Sicht ein Regenbogen in unserem Leben ist. Für mich ist es einfach kein Zufall dass es einen wunderschönen kompletten Regenbogen gab als Joep gerade in meinem Armen lag und um sein Leben kämpfte, einen Kampf von dem wir wussten dass er ihn bald aufgeben muss. Zwischen 2 Atempausen gab es den Regenbogen und es war seine Leiter in den Himmel. Seitdem habe ich so viele Regenbögen gesehen wie nie zuvor und das Timing war oft einfach so besonders richtig. Einmal fragte ich Joep: Wenn es dir gut geht, bitte schicke mir nächste Woche einen Regenbogen. Und schon am nächsten Tag sahen wir den ersten Regenbogen und ab dann bekamen wir jeden Tag von jemandem ein Foto der gerade einen Regenbogen sah. Drei oder vier Tage hintereinander mindest einen Regenbogen am Tag. Joep geht es gut, wo auch immer er ist. Und der Regenbogen ist sein Zeichen, Joep ist mein Regenbogenbaby.

Aber diesen Kleinen Regenbogenbaby zu nennen geht mir irgendwie doch zu weit. Wir nennen ihn beim Namen oder aber kleinen Bruder. Das ist was er ist, ein kleiner Bruder. Und ein sportlicher/aktiver noch dazu :)


22.05.2017

Nie wieder

Niemals werde ich wissen...
... wie du aussiehst wenn du lachst.
... wie deine perfekten kleinen dicken Lippen aussehen wenn sie lächeln
... wie es sich anhört wenn du Mama oder Papa sagst
... wie du aussiehst wenn du spielst
... wie du jetzt aussehen würdest
... wie gut dein Herz wirklich war
... wie es ist um mit dir am Strand zu spielen
... wieviel Unfug du gemacht hättest
... wie es ist nachts nicht zu schlafen weil du mich wach hältst
... wie gross du geworden wärst
... wie es sich anfühlt wenn du mich umarmst
... wie sich deine Stimme anhört
... wie glücklich wir hätten sein können
... wie ein Leben mit dir sein würde
... wie viele Mädchen du mit nach Hause gebracht hättest
... wie du dein Leben gemeistert hättest
... wie du nach dem Friseur aussiehst
... wie viel du gegessen hättest
... wie sportlich du gewesen wärst
... wie du als grosser Bruder wärst
... wer du geworden wärst
... was aus dir geworden wäre
... wie hübsch du geworden wärst
... wie klug du geworden wärst
... ob du genau so stark gewesen wärst wie Papa
... wie ähnlich du mir warst
... wie ähnlich du Papa warst
... wie ählich du deinen Geschwistern wärst.

Nie wieder werde ich...
... deine kleinen Finger in meiner Hand halten
... dir all die Küsse geben können die du so verdienst
... dir die Tränen aus dem Gesicht wischen
... dich im Arm halten
... dich weinen hören
... mit dir kuscheln
... dein Gewicht in meinen Händen spüren
... nicht auf Toilette gehen nur damit du noch etwas länger auf meiner Brust liegen kannst
... deine kleinen Stinkefüsse riechen
... dich in Papas Armen sehen
... in deine Augen blicken
... so glücklich sein wie ich nach deiner Geburt war
... deine weiche Haut fühlen
... dich waschen
... all die Dinge für dich tun die Mamas doch für ihre Kinder tun
... das Gefühl haben dass meine Familie komplett ist weil du immer fehlen wist.

Immer werde ich...
... dich lieben
... dich vermissen
... an dich denken
... dein Grab versorgen
... von dir erzählen.

Niemals werde ich dich vergessen!

18.05.2017

Schwesterchen? Brüderchen?


Jeder der hier wirklich mitliest weiss es schon lange.  Aber ich wollte trotzdem erzählen wie wir erfahren haben dass Joep einen kleinen Bruder bekommt und wie wir es der Familie erzählt haben.

Weil wir den Niptest gemacht haben um aus zu schließen dass der Kleine eine tödliche Chromosomenabweichung hat hatten wir in der  15. Schwangerschaftswoche einen Termin zur Blutabnahme. Bevor Blut abgenommen wird wird auch standard ein Ultraschall gemacht um zu kontrollieren ob das Baby lebt.

Wir fragten die Hebamme bevor sie den Ultraschall machte ob man denn schon sehen könne was es wird und sie verneinte. Ich bin aber nicht dumm und wusste dass man es sehr sehr oft (98%) wohl schon deutlich sehen kann. Die gute Frau wurde etwas schärfer im Ton und sagte und dass es eine medizinische Untersuchung ist, wir nicht zum Vergnügen hier sind und dass frühestens mit 18 Wochen geguckt wird welches Geschlecht das Baby hat. Rene und ich wurden also zurecht gewiesen und ich hatte das Gefühl dass wir wohl nicht den besten ersten Eindruck hinterlassen haben.

Während des Ultraschalls besserte sich die Stimmung zum Glück wieder. Wir sprachen ganz offen über Joep und den Kleinen und sie kontrollierte ob alles gut aussah. Dann ganz plötzlich war es sehr eindeutig zu sehen: Ein Junge, unter seinem Bauch sahen wir eindeutig was wir auch bei Joep sofort sahen. Sie drehte den Ultraschall sofort weg und fragte: wolltet ihr das Geschlecht noch wissen?
Ich sagte dass ich es schon weiss, dass ich gesehen habe was sie auch sah und auch Rene hatte eindeutig einen kleinen Jungen erkannt. Jetzt guckte sie doch von allen Ecken und Kanten nach und ja, der Kleine ist eindeutig ein Junge, ganz sicher.

Die Hebamme wollte gar nicht gucken aber unser kleiner Mann konnte sein Geheimnis einfach nicht für sich behalten.

Bei Joep hatten wir mit 16 Wochen eine Ultraschall um sein Geschlecht zu bestimmen und da ging es ganz ähnlich. Sie setzte den Ultraschall auf meinen Bauch und bevor sie ihn überhaupt bewegte war Joep so gut und deutlich im Bild dass sie sagte: ich sehe es schon. Rene hatte es auch schon gesehen aber ich schaute noch auf meinen Bauch wo gerade erst der Ultraschall angesetzt wurde. Schnell guckte ich auf den Bildschirm der vor uns hing und ja es war eindeutig. Joep lag da stolz und präsentierte uns sein bestes Stück.

Sein kleiner Bruder ist da kein Stück besser, auch er scheint verdammt stolz auf sein bestes Stück zu sein und hält es uns bei jedem Ultraschall ins Bild. So offensichtlich dass ich mich doch wirklich frage wie Eltern überrascht werden können von einem Sohn. Wie sehen sie das nicht schon auf dem Ultraschall? Wenn ich irgendwann mal wieder schwanger bin und mir wird nicht sofort ein kleiner Pimmel präsentiert weiss ich sofort dass ich ein Mädchen bekomme.

Wir freuten uns mehr darüber dass Joep einen kleinen Bruder bekommt als ich erwartet habe. Ich bin eine Jungen​ Mama und jetzt darf ich es auch leben. Dafür bin ich so dankbar. All seine Klamotten, sein Zimmer, alles kann bleiben wie es ist. Alles wird der Kleine tragen und der Gedanke macht mich froh. Wir waren so stolz, wieder ein Junge! Wie kann man sich so über einen Jungen freuen? Manchmal fühle ich mich richtig altmodisch, Jungs sind für mich besser als Mädchen. Das ist schon lustig. Versteht mich nicht falsch, ein Mädchen wäre wirklich sehr willkommen gewesen und das nächste soll auch bitte eins werden. Aber jetzt fühlt sich ein Junge einfach unglaublich richtig an. Als ob wir es verdienen wieder einen Sohn zu bekommen. Meine ganze Schwangerschaft dachte ich alles verläuft genau wie bei Joep. Ich fühlte dass es ein Junge wird aber etwas in mir war skeptisch, es hätte ja auch einfach der Wunsch sein können und keine Intuition. Auch bei Joep war ich mir von anfang an sicher dass er ein Junge ist.
Genau wie der Kleine konnten und wollten auch Mama und Papa das Geheimnis nicht lange für sich behalten. Noch am gleichen Tag habe ich eine Karte gemacht. Eigentlich zwei, es ist die gleiche Karte aber in zwei Sprachen.

Auf der ersten Seite steht ein Foto von Joep und darunter der Text: Bekomme ich eine Schwester oder einen Bruder? Innen ist dann alles in Babyblau und steht: Mama und Papa sagen dass ich einen kleinen Bruder bekomme.

Es auf diese Art und Weise zu erzählen fühlte sich richtig an. Die Karten wurden mit der Post verschickt und sollte bei allen am gleichen Tag ankommen. Ich hätte Joepi so gerne erzählen lassen dass er einen Bruder bekommt, aber das geht nicht. Auf diese Art und Weise konnten wir Joep erzählen lassen dass er einen kleinen Bruder bekommt und weiss ich dass die Karte und somit Joeps Foto bei allen zuhause steht. Sein kleines hübsches Gesicht ist noch einmal überall zu sehen! 

17.05.2017

Hoffnung, Trauer und Glück

Wenn ich das letzte Jahr beschreiben muss dann ist wohl das Wort Trauer das Wort das am besten auf alles zutrifft. Die Trauer hat einfach alles in meinem Leben bestimmt, jeder Schritt den ich gesetzt habe wurde von Trauer begleitet.

Trauer die so heftig und intensiv war, ich hätte mir nie träumen lassen dass man sich so fühlen kann. Nicht ohne krank zu sein. Trauer ist keine Krankheit und doch kann man es wohl wenn überhaupt nur mit einem Burnout oder einer Depression vergleichen? Menschen die ihr Kind nicht verloren haben können sich einfach nichts darunter vorstellen. 

Der einzige Grund zu kämpfen war mein Versprechen an Joep dass ich alles dafür tun werde wieder glücklich zu werden. Ich kannte von Anfang an den einzigen Weg der für mich in Frage kam: ein Geschwisterchen. Es war von Anfang an klar dass Rene und ich zusammen bleiben und dass wir noch mehr Kinder wollen. So kam zu all der Trauer auch ab und zu die Hoffnung. Die Hoffnung wie es wohl sein wird wenn wir wieder ein Kind haben? Ob wir dann wieder glücklich sein können?

Glück war ein Gefühl dass ich lange nicht gefühlt habe, von dem ich vergessen hatte wie es sich anfühlt. Wir haben noch jeden Tag gelacht aber Lachen macht nicht glücklich, Lachen ist keine Medizin, nicht für Trauer. Man kann lachen und in der Sekunde in der man aufhört zu lachen ist auch wieder alles vorbei. Dann ist man wieder traurig, so unendlich traurig. Lachen und Weinen gehörten so zu meinem Leben wie Atmen und Aufstehen. 

Ein wenig Glück konnte ich erst fühlen als ich wieder 12 Wochen schwanger war und alles gut aussah. Erst da fühlte ich zum ersten mal Glück und realisierte ich dass es neben der Trauer und der Hoffnung jetzt auch wieder ein wenig Glück in meinem Leben gibt. Die Hoffnung wurde viel intensiver, denn es sieht endlich alles danach aus dass unser Ziel im Oktober Wirklichkeit wird. Es ist noch selten aber ab und zu fühle ich Glück und das macht alles doch einfach viel einfacher. Es scheint auch die Mamakraft die ich so vermisst habe wieder zu wecken. Für diesen kleinen Mann kann und werde ich alles tun. Er wird der glücklichste kleine Junge. Bestimmt schrecklich verwöhnt aber wir verdienen es unser Kind zu verwöhnen... Er wird auch sicher gut erzogen werden, nicht verzogen. Aber er wird wohl in den ersten Jahren alles bekommen was uns glücklich macht. Und wenn ich daran denke dann schreibe ich das mit einem Lächeln auf meinen Lippen. Ihn glücklich zu machen ist mein höchstes Ziel. Ich konnte Joep nicht glücklich machen und jetzt bekommt er die doppelte Liebe. All die Liebe die ich für Joep fühle die ich aber nicht geben kann und all die Liebe die ich für ihn empfinde. Er wird sich niemals fragen müssen ob er geliebt wird. Er wird sehen dass er unser grösstes Glück ist.

Trauer bestimmt noch immer mein Leben, das ist wohl die Wahrheit. Aber die Trauer ist nicht mehr zu vergleichen mit der Trauer die ich noch vor einem Jahr fühlte. Trauer wird wohl für immer ein Teil von mir sein und das finde ich auch richtig so. Solang wir neben der Trauer auch Glück erfahren dürfen. 

Uns geht es wirklich besser. Wir haben mehr Energie, können mehr unternehmen. Aber wir sind noch lange nicht wo wir waren. Irgendwann werden wir wieder genau so viel Energie haben wie damals und darauf freuen wir uns.

wir sehen nicht mehr so schlecht aus wie letztes Jahr. Wir sind zuversichtlich dass wir auf Fotos irgendwann auch wieder so glücklich aussehen wie früher!



Ist es dein erstes Kind?

Schon lange bevor ich wieder schwanger war wusste ich dass diese Frage kommen wird. Man wird nur sehr selten gefragt ob man Kinder hat in meinem Alter. Dazu kommt dass viele Leute finden dass ich jünger aussehe. Gestern bin ich 30 geworden und ein paar Freunde waren richtig schockiert dass ich älter bin als sie.

Im letzten Jahr fragte mich also niemand ob ich Kinder habe, Menschen die nicht von Joep wussten hatten keine Ahnung und die Frage schien so unnötig zu sein. Aber jetzt bin ich wieder schwanger und mein Bauch ist da. Man sieht es mir an, ich bekomme ein Kind. Gestern waren wir in der Stadt und haben Klamotten für Rene gekauft (natürlich erst nachdem ich neue Schuhe zum Geburtstag bekommen habe) als die Verkäuferin mich an der Kasse fragte wie weit ich denn sei. Ich sagte ihr dass wir Halbzeit haben, 20 Wochen. Die nächste Frage war ob wir denn schon wüssten was es wird, ich sagte ihr stolz dass es ein Junge wird und habe nicht einmal daran gedacht dass da noch eine Frage auf mich wartet. Doch sie kam sofort hinterher: Ist es dein erstes Kind? Ich sagte ihr nein, es ist mein zweites und sie strahlte mich an. Ich strahlte nicht mehr und ganz automatisch sagte ich ihr dass mein Erster gestorben ist.

Es war gar keine Frage ob ich es vielleicht nicht sagte. Ich weiss dass sie das sicher nicht erwartet hat und sie hat einfach gut reagiert, war sichtlich geschockt und das reicht mir wirklich schon. Sie wünschte uns ganz viel Glück dass dieses Mal alles gut geht und in dem Moment kam Rene zur Kasse gelaufen und wechselte das Thema ohne zu ahnen dass wir gerade über Joep sprachen. Ob sie erleichtert war oder nicht war ihr nicht an zu sehen aber es war okay. Die Stimmung war nicht schlecht oder so, ich durfte es erzählen und ich hatte nicht das Gefühl gerade ein no go begangnen zu haben.

Aber es ließ mich nachdenken. Wie machen andere das? Ist es normal sofort zu erzählen dass Joep tot ist? Ihr Strahlen hat mich dazu veranlasst zu sagen dass halt nicht alles rosa rot ist. Sie sah einfach aus als freute sie sich für mein perfektes Leben und ich bin zu offen und zu ehrlich um das so stehen zu lassen. Für mich würde es sich anfühlen als ob ich Joep verleugnen würde. Er ist da, er ist die Liebe meines Lebens, aber er ist halt auch nicht da. Joeps Geschichte erzählt sich so schnell: "Mein Erster ist gestorben..." Am liebsten würde ich hinterher sagen dass er gross und stark und perfekt war aber das ist nicht wirklich nötig. Ich will halt nicht dass sie denken dass es eine Fehlgeburt war. Aber die Leute sollen denken was sie wollen. Joep war perfekt, das wissen wir und jeder der uns kennt.

Die Frage wird wohl noch oft kommen und ich bin gespannt wie ich das nächste Mal reagiere. Ich denke dass ich immer sagen würde dass es mein zweites Kind ist. Aber ob ich auch jedes Mal sage dass Joep tot ist? Ich denke schon, allein schon um dieses beglückwünschende Grinsen aus ihrem Gesicht zu bekommen. Aber vielleicht tut mir das das nächste Mal ja auch gerade gut... Ich habe zwei Söhne, ich bin stolz und laufe vor Liebe über! Ich lächle auch oft bei dem Gedanken an meine Jungs.

15.05.2017

Ich bin nicht stolz auf mich

Diese Woche wurde mir plötzlich bewusst dass ich nicht stolz auf mich bin. Ich weiss ich habe alles Recht der Welt stolz auf mich zu sein. Was ich im letzten Jahr geschafft und überwunden habe, mein Kampf zurück ins Leben. So einen Kampf kämpfen die meisten Menschen ihr ganzes Leben nicht.
Ich arbeite 32-40 Stunden die Woche, meine Wohnung ist immer sauber, wir kochen regelmässig. Vor einem Jahr war das alles unmöglich, da war duschen und zu Joep gehen eine Tagesaufgabe die ich oft nur gerade so schaffte.

Und als dann eine Mama (Noahs Mama, Noah durfte leider nur ein halbes Jahr alt werden) die ich vor ein paar Wochen kennen gelernt habe zu mir sagte dass sie wirklich stolz auf sich selbst ist war das erste was ich dachte: "Ja, ich bin auch stolz auf sie." Und gleich hinterher dachte ich: "Aber ich bin nicht stolz auf mich."

Warum weiss ich dass ich stolz sein kann aber ich fühle es nicht? Weil ich noch nicht bin wo ich war. Wenn ich  mein jetziges Leben mit meinem früheren Leben vergleiche dann kann ich so viel viel weniger als damals. Damals war ich stolz auf mich, aber heute bin ich es nicht mehr und das obwohl ich im letzten Jahr mehr erreicht und geschafft habe als jemals zuvor in meinem Leben. Ich habe das Schlimmste auf der Welt überlebt, wir haben gekämpft und gewonnen. Wir haben etwas überlebt wovon ich nicht wusste wie wir es überleben sollten.

Jeder sagt mir ich kann stolz auf mich sein, Menschen sind stolz auf mich, aber ich kann nicht stolz auf mich selbst sein. Ich bin so unendlich stolz auf Rene, auf Joep und den Kleinen der so gut wächst. Aber auf mich selbst kann ich noch nicht stolz sein. Nicht auf das Gesamtpacket Imke. Ich bin einfach noch nicht gut genug, ich bin zu kritisch. Ich war immer kritisch, auch mir selbst gegenüber aber früher war ich gut genug. Heute bin ich das nicht mehr und diese Erkenntnis erschreckt mich.

Meine Messlatte liegt zu hoch, ich verstehe das und weiss dass es falsch ist aber ich kann es nicht ändern. Ich denke dass solang ich weiss und fühle dass ich es gut mache bin ich auf dem richtigen Weg. Irgendwann werde ich wieder stolz auf mich sein. Aber jetzt weiss ich noch nicht wie ich stolz auf etwas sein soll dass ich doch nie wollte. Es ist passiert, es war nicht meine Wahl... Der Schmerz ist noch zu stark und lässt es einfach nicht zu dass ich stolz sein kann.

Ich werde stolz sein wenn ich wieder etwas erreiche dass ich früher noch nicht erreicht habe. Ich werde stolz sein wenn ich eine gute Mama bin für Joeps kleinen Bruder. Ich werde stolz sein wenn wir Sachen schaffen die wir früher schon planten.

Muttertag

Gestern war zum zweiten Mal Muttertag. Zum zweiten mal bin ich Mama aber irgendwie halt auch nicht. Es hätte ein besonderer Tag für mich werden sollen. Mit Frühstück im Bett, Blumen und dieses Jahr sogar mit einer Zeichnung die Joep für mich gemacht hätte.

Zum 2. Mal hatte ich keinen Muttertag. Letztes Jahr wollte ich nichts von Muttertag wissen. Mir ging es schlecht. Joep war noch keine drei Monate tot und ich wusste nicht wie ich es aus meinem Bett schaffen sollte. Jede Erinnerung an Muttertag tat einfach nur weh und ich wollte den Tag ausblenden.

Meinen Eltern hatte ich vorher gesagt dass ich Mutter und Vatertag komplett ausfallen lassen, ich sah dass sie es traurig fanden aber verstanden. Auch dieses Jahr habe ich es komplett ausfallen lassen. Ich gratulierte nicht mal, Rene gratulierte nicht. Mein Plan war Muttertag zu ignorieren also sagte ich zu Rene dass ich NICHTS will.

Dieses Jahr schaffte ich es zeitig auf zu stehen, ich hatte Energie, es ging mir okay und ich war dankbar dass es okay sein durfte. Unter der Dusche dachte ich dann dass es nicht richtig war gar nichts zu wollen. Es ist Muttertag, ich bin Mama! Ich habe zwei Söhne, einen in meinem Bauch und einen auf dem Friedhof und ganz tief in meinem Herzen. Ich rief Rene zu mir und sagte dass ich doch Blumen wollte. Ich wollte zwei Blumensträusse: Einen grossen für mich und einen kleinen für Joep. Es sollte der gleiche Strauss sein, einfach etwas kleiner. Jetzt steht also in meinem Wohnzimmer ein wunderschöner weiss gelber Blumenstrauss und den gleichen haben wir später noch zu Joep gebracht. Wir haben sein Grab wieder aufgeräumt, sauber gemacht und alles ordentlich hingestellt. Ich habe ihm erklärt was für ein Tag es ist und ihm gesagt wie sehr wir ihn lieben. 

Gestern ging es mir überraschend gut. Vorgestern war ein Gedenkdienst im LUMC, gestern war Muttertag, heute ist der 15 (Joep, du wärst jetzt 15 Monate alt) und morgen werde ich 30. Es sind Tage die alle so anders hätten sein sollen und das tut weh... Aber tagsüber ging es uns recht okay. Wir gingen zu Joep und ein Stückchen spazieren. Abends ging es Rene schlecht, er war so wütend auf alles und sagte er wolle schreien aber konnte es nicht, er wolle etwas kaputt hauen aber er konnte es nicht. Also sagte ich ihm dass wir raus gehen können, zum Skatepark. Das taten wir, Rene konnte sich auspowern und es ging ihm danach wieder etwas besser.

Aber abends brauchte er Zeit für sich und die gab ich ihm. Ich konnte nicht einschlafen, schaute Netflix und irgendwann war es so spät dass ich den TV ausgemacht habe. Plötzlich brach dann alles über mich hinein. Rene kam sofort angelaufen als er mich weinen hörte. Ich weinte nicht, ich heulte mir wirklich die Seele aus dem Leib. Trauer kann so weh tun, richtig körperlich weh tun. Ich hatte Schmerzen, ich bekam keine Luft, ich atmete zu kurz und abgehackt, ich schluchzte.... Ich dachte ich will das nicht, ich kann das nicht. Warum wir? Warum ich? Warum mein Joep? Rene hielt mich fest und versuchte mich zu trösten, ich beruhigte mich erst als der Kleine in meinem Bauch aktiv wurde, ich legte meine Hand auf meinen Bauch und wurde etwas ruhiger. Sein erstes Muttertagsgeschenk.

Es war Muttertag und ich weinte mich in den Schlaf. Ein Tag der so anders hätte sein müssen, wir feierten Muttertag am Grab unseres Kindes. 

09.05.2017

Let it go...

Schon früher fand ich es schwierig um bestimmte Dinge gehen zu lassen. Ich kann ungerechtes Verhalten und Dummheit einfach wirklich schlecht ertragen und dann frustriert es mich so sehr.

Aber gerade jetzt merke ich dass ich es noch schwerer habe und dass es mich stört dass ich es nicht kann. Es wäre viel besser für mich wenn ich es einfach gehen lassen könnte. Mich nicht Stunden lang schlecht fühlen würde nur weil jmd etwas Verletztendes und Dummes gesagt hat.

Aber ich kann es nicht. Meine Konzentration ist weg und die Frustration lässt mich einfach nicht los.

Wenn jmd doch nicht versteht wie es mir geht, warum kann er/sie mich dann nicht einfach in Ruhe lassen... Muss ich diese Menschen denn echt alle komplett aus meinem Leben entfernen? Sie ignorieren? Und was mache ich in diesem Fall in dem es meine Kollegin ist die heute schon zum 3. mal in einer Woche etwas rausgehauen hat das ich einfach nicht loslassen kann...

Wie kann denn eine Frau mit erwachsenen Kindern mir erzählen dass ich schon noch sehen werde wie es ist wenn ich nachher keine Zeit mehr für mich selbst habe und wie schlimm es werden wird wenn ich die Nächte nicht mehr durchschlafen kann? Und als ob das nicht genug ist erzählt sie es auch noch lachend und betont dann nochmal dass sie nicht weiss wie sie die 3 Jahre ohne Schlaf ÜBERLEBT hat als ihre Kinder klein waren.

Und genau in dem Moment fing das Meeting an und ich konnte nichts mehr dazu sagen... Wie überlebe ich denn bitte die Zeit in der ich schlaflose Nächte haben müsste ich aber nie geweckt werde? Ich maximal das Baby der Nachbarn weinen höre. Hat sie eine Sekunde daran gedacht? Ist das nicht wirklich viel schwerer zu überleben? Jammere ich denn darüber? Nein... Jammer ich in 20 Jahren noch darüber? Nein... Wieviele Mütter wollen sterben nachdem ihr Kind gestorben ist und wie viele wollen sterben weil ihr Kind nachts weint... Ich kenne die Studien nicht aber die Antwort scheint mir so eindeutig.

Oh man sie treibt mich in den Wahnsinn und ich kann es einfach nicht los lassen... Ein Ventil das oft hilft ist dieser Blog, meine Frustration aufschreiben und online stellen. Auf diese Art und Weise kann ich manche Sachen gehen lassen. Manchmal geht es mir danach besser, vielleicht ja auch jetzt?
Let it go... Leichter gesagt als getan!

ICH LIEBE JOEP! Ich könnte als die Zeit der Frustration so viel besser und positiver verbringen indem ich an Joep denke, meine lieber hübscher perfekter Sohn.

08.05.2017

Sachen die ich die letzten Wochen lieber nicht gehört hätte

Dass Menschen in meiner Umgebung mich nicht verstehen können daran habe ich mich mittlerweile wirklich gewöhnt aber in den letzten paar Wochen habe ich doch ein paar Sachen gehört die ich lieber nicht gehört hätte, einfach weil sie so deutlich machen dass ich wirklich nicht verstanden werde. Und das obwohl ich mir so viel Mühe gebe mich und meine Gefühle zu erklären.

Letztens versuchte ich zu erklären dass ich in meiner Situation keinen Stress brauchen kann und ich ihn auch auf der Arbeit nicht akzeptieren und bekam dann als Reaktion ein: "davon geht die Welt nicht unter".  Ein Schlag ins Gesicht, noch nicht Mal ein subtieler. OK du verstehst es also nicht. Extra Stress kann dafür sorgen dass es sich halt wohl so anfühlt als ob meine Welt zusammen stürzt. Kann dafür sorgen dass es mir schlechter geht und es geht mir wirklich schlecht genug. Warum sollte ich zulassen dass es mir noch schlechter geht? Aber das versuchte ich gar nicht mehr zu erklären. Ich sagte nur: 'ja das sagst du so einfach...' Und entschied mich darüber hinweg zu sehen. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen dass er mich nicht verletzen wollte und ich hatte in dem Moment nicht die Energie um mich zu verteidigen.  Es war eine Kleinigkeit über die ich hinwegsehen kann.

Heute hörte ich auf der Arbeit dass der Sohn eines Kollegens Epilepsie hat und es wurde über die Medikamente gesprochen. Sofort sass ich wieder neben Joep im Krankenhaus und hatte Tränen in den Augen. Niemand merkte es, aber ich dachte daran dass Joep auch diese Medikamente bekam und nichts genug war... Wie lange es dauerte bis er keine epileptischen Anfälle mehr hatte. Ich lebte in meiner Welt und war traurig. Später rede ich mit einer Kollegin darüber dass diese kurze Information doch so eingeschlagen hat und ich deswegen so in mich gekehrt war. Ihre Reaktion war so anders als ich erwarten konnte und diesmal habe ich es wohl versucht zu erklären. Sie sagte: "Imke, du musst verstehen dass es sein Kind ist, Joep ist nicht dieses Kind."

Bitte was? Was um alles in der Welt hat sie dazu bewogen das zu sagen? Niemals, nicht eine Sekunde habe ich gedacht dass es in dem Gespräch um mein Kind ging. Warum​ würde ich? Ich weiss das Joep tot ist, dass er mein Sohn ist und nicht der eines anderen. Ich suche ihn nicht in anderen, ich weiss dass er nicht mehr da ist.

Also versuchte ich ihr zu erklären dass es mich in die Zeit zurückversetzt hat die ich mit Joep hatte aber ob sie es verstanden hat. Scheinbar denkt sie ich bin halb verrückt oder so... Oder denkt dass sie selbst so denken würde? Ich weiss es nicht. Ich weiss nicht warum sie dachte das sagen zu müssen, ich weiss nur dass sie nichts versteht.

Vor ein paar Tagen gab sie mir auch den Tipp dass dieses Baby nicht Joep ist und ich es auch nicht zu sehr mit ihm vergleichen soll. Sie ist nicht die einzige die der Meinung ist mir das ans Herz legen zu müssen. Scheinbar strahle ich etwas aus wodurch Menschen denken dass ich Joep ersetzen will. Nichts ist weniger wahr. Niemand wird Joep ersetzen, das ist unmöglich. Joep ist eine eigenständige Person, all meine Kinder werden eigenständige Personen sein.

Das weiss ich, das muss mir niemand erklären. Und natürlich schaue ich mir andere Kinder an und denke dass Joep vielleicht genauso geworden wäre und das werde ich wohl auch bei seinem Bruder machen. Ich weiss nicht wie Joep gewesen wäre, wie er aussehen würde. Aber ich weiss das es nichts schlechtes ist sich vor zu stellen wie er jetzt wohl wäre und wie er dazu gehören würde.

Ich war vorher nur einmal Schwanger und sah nur ein Kind auf dem Ultraschall und natürlich vergleiche ich die beiden. Aber tun das nicht alle Eltern? Und ich habe nicht entschieden dass der kleine auf dem Ultraschall das exakt gleiche Profil hat. Die gleiche Nase, die dicken Lippen... Wenn ich das stolz erzähle dann nicht weil ich denke dass ich wieder von Joep Schwanger bin sondern weil ich stolz bin, es ist sein Bruder, natürlich sieht er ihm ähnlich. Das ist für mich ein wunderschönes Geschenk. Mehr nicht, ich glaube nicht an Reinkarnation, ich denke nicht dass Joep zurück kommt.

Das versteht man wohl nur wenn man fühlt was wir fühlen. Dieses Kind wird NIE darunter leiden dass es einen grossen Bruder hat. Es kann ihn nicht ersetzen und das soll es auch nicht. Es wird die doppelte Liebe bekommen, Joeps liebe kann ich nicht schenken also bekommt dieses Kind die noch oben drauf.

05.05.2017

Das erst mal wieder Glück fühlen

Das letzte Mal glücklich waren wir als Joep noch lebte. Mit Joep verschwand auch alles Glück aus unserem Leben. Niemals hätte ich mir träumen lassen dass man vergessen kann wie Glück sich anfühlt.

Glück gehörte zu unserem Leben und auf einmal was jegliches Glücksgefühl verschwunden. Monatelang, ja sogar mehr als 1 Jahr lang fühlte ich kein Glück.

Nach dem positiven Schwangerschaftstest im Dezember war ich für eine kurze Sekunde enthousiast aber glücklich war ich nicht. Zu Recht denn kurze Zeit später verlor ich das Baby, ich ahnte es damals sofort und somit wich der Enthusiasmus bevor er Glück werden konnte für eine Art Nüchternheit die nicht zu mir passte. Erst sehen dann glauben war das Motto.

Im Januar dann unser größtes Glück, wieder schwanger, diesmal ohne Blutung. Enthousiast ja, aber Glück gab es nicht. Die Nüchternheit und Angst machte sich breit und das erste Trimester war wohl das Gegenteil von glücklich. Ich fühlte mich richtig depressief und hatte ständig Angst auch dieses Baby zu verlieren.

Diese Angst wich erst als ich in der 13. SSW einen Ultraschall​ hatte und alles wirklich gut aussah. Abends gingen wir etwas essen und plötzlich fühlte ich einen kurzen Moment so viel Erleichterung und ein wenig Glück. Alles wird wieder okay...

Ich erschrak richtig. So fühlt sich Glück also an. Ich sagte Rene dass ich mich glücklich fühlte und während ich die Worte sprach verschwand das Gefühl wieder. Auf einmal verstand ich was gerade passiert war und mir wurde bewusst  dass ich schon über ein Jahr nicht mehr glücklich war, dass ich vergessen hatte wie es sich anfühlt.

Es war so traurig dass ich anfing zu weinen, ich hatte vergessen wie sich Glück anfühlt. Wie kann ein Mensch so lange ohne jegliches Glücksgefühl überleben?

Seitdem gibt es immer Mal wieder kurze Momente in denen ich Glück fühlen kann. Ich bin stolz auf den kleinen und bei jedem Ultraschall bin ich so verliebt in ihn.  Aber jedes Mal wenn ich Glück fühlen kann wird mir auch wieder bewusst wie selten und besonders es ist und dann denke ich daran wie anders es hätte sein müssen. Ich brauchte nie viel zum glücklich sein, jetzt werde ich wohl nie mehr haben was ich wirklich brauche und richtig glücklich zu sein. Joep wird uns immer fehlen.

04.05.2017

Der impact des Februars

Lieber Joep,

vor deinem Geburtstag hatte ich Angst. Wie wird es es wohl sein, von allen hörte ich dass die Anlaufzeit das schlimmste ist, dass der Tag selbst weniger schlimm ist.

Bei uns war das anders. Mama und Papa waren überrascht dass es ihnen eine Woche vor deinem Geburtstag noch so gut ging. Erst kurz vor deinem Geburtstag merkten wir dass es alles wohl doch schwerer werden wird als erwartet. Wir sind vollkommen ohne Erwartungen in die Woche deines Geburtstages gestartet, wir wussten nicht was uns erwarten würde und wir wollten uns selbst nicht verrückt machen.

Dein Geburtstag selbst war ein verrückter Tag. Ich war stolz auf dich und oft so glücklich. Dein Grab war wunderschön und gleichzeitig lag dieser Schatten über uns der sich langsam ausbreitete.

In deiner Woche konnte ich nicht arbeiten, wie Papa das geschafft hat wissen wir auch nicht, du hast ihm wohl all deine Kraft geschenkt. Auch deine Geburtstagsfeier haben wir irgendwie überstanden obwohl es mich störte das viel zu wenig über dich gesprochen wurde. Es war doch deine Feier... Aber ich kann die Menschen schlecht zwingen, ich will dass sie über dich reden weil sie es wollen, nicht weil sie es müssen.

Lieber Joep, so richtig schlecht ging es uns erst in den Wochen danach. Ich schaffte es nicht mehr meine Stunden arbeiten und darum habe ich weniger gearbeitet. Ich fühlte mich richtig depressief und ich konnte mich gar nicht mehr über deinen kleinen Bruder freuen. Ich fühlte mich krank und kraftlos und nichts und niemand konnte das verändern. Es dauerte Wochen bis es wieder etwas besser ging, bis ich wieder über die neue Schwangerschaft reden konnte. Ich wollte das noch niemand es weiss aber deine Oma hat es allen erzählt und da fühlte ich mich gezwungen es auch meiner Familie und Freunden zu erzählen. Es wussten Leute dass du grosser Bruder wirst die ich nicht Mal richtig kenne aber meine Familie und Freunde wussten noch von nichts. Also erzählte ich es viel zu früh noch im ersten Trimester, wir waren noch gar nicht bereit. In meinem Kopf warst nur du. Du lebtest in meinen Gedanken, ich dachte immer an dich. Deinen kleinen Bruder... Es war als gäbe es ihn noch nicht, mein Gehirn blendete die Schwangerschaft oft aus und wenn jmd fragte wie die Schwangerschaft läuft erschrak ich.
Wir schafften es nicht mehr zu kochen, aufstehen war oft schon zu schwer. Zur Arbeit gehen erschien unmöglich. Trotzdem gingen wir. Die meiste Zeit im März ging es uns richtig schlecht, es war wie eine Reise in der Zeit aber dann nicht weit genug. Ich konnte nicht bei dir sein aber ich fühlte mich wieder wie kurz nachdem du gestorben bist.

Erst Ende März ging es uns wieder etwas besser. Nie hätten wir gedacht dass der Februar so viel Impact auf uns haben würde. Aber was wissen wir. Wir lernen jeden Tag wieder etwas dazu lieber Joep. Trauern bedeutet lernen, Mama und Papa müssen lernen wer sie sind, wir kennen uns selbst nicht und wissen nicht mehr was wir können. Verrückt oder? Wir wussten das früher doch so genau...

01.05.2017

Wut

Und plötzlich ist sie da. Diese Wut die aus Verzweiflung entstand.

Heute war einfach alles zu viel, ich kann nicht mehr. Ich weine, ich bin verzweifelt. Ich will nicht ohne Joep. Ich kann nicht ohne Joep. Trotzdem muss ich, ich habe keine Wahl und kann nicht aufhören zu weinen.

In mir wächst die Verzweiflung ins unermessliche und ich werde so wütend. Auf alles, ich will die ganze verdammte Welt in Stücke schlagen, schreien.

Ich brauche ein Ventil aber da ist keins. Ich kann nur weinen. Weinen weil ich das Schönste und Liebste auf der Welt verloren habe. Also laufe ich weinend weg von Joeps Grab und werfe die verdammte leere Flasche Wasser so hart wie ich nur kann in den verkackten Mülleimer und will schreien.

Ich schreie aber nicht. Ich bin auf dem Friedhof, ein Ort der Ruhe und die Ruhe bringt mich um den Verstand. Es ist spät, 20 vor 9, niemand ist hier und trotzdem schreie ich nicht. Auch wenn ich jetzt nach Hause fahre kann ich nicht schreien. Verdammtes Appartement mit den verdammten Nachbarn die ich nicht stören will, nicht stören kann. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, ausser schluchzen kommt nichts.

Also fahre ich nach Hause und werde mich wohl weinend ins Bett legen, mich in den Schlaf weinen und hoffen dass es morgen besser ist.

Wut passt nicht zu mir, ich bin nicht oft wütend. Aber manchmal bin ich es, solche Momente wie jetzt kann ich wohl an einer Hand abzählen... Damn ich hasse diese verdammte Welt mit ihrem ganzen Scheiss gerade so. Es ist ein schlechter Ort der sich so schlecht anfühlen kann. Als ob alles Glück aus mir und der Welt rausgesaugt wurde.

Jetzt fahre ich nach Hause und hoffe dass ich keinen Nachbarn treffe. Ich kann einfach nichts mehr haben. Ich kann nicht mehr tun als sei alles okay. Ich will niemand sehen, niemanden sprechen.

Meine Wut und ich müssen das jetzt alleine ausmachen...

Wenn dein eigenes Kind das aller Schönste ist

Nachdem Joep starb realisierte ich erst wie schön er eigentlich war. Jedes Mal wenn ich draussen ein Kind sah konnte ich nur denken dass Joep so viel schöner war. Mir wurde bewusst dass er nicht einfach nur schön war sondern wirklich der Schönste war.

Plötzlich waren Kinder nicht mehr niedlich wenn sie nicht hübsch waren. Irgendwie waren sie vor allem nicht hübsch. Denn alles was Joep uns über sich zeigen konnte war seine Schönheit und Stärke. Also verglich ich ihn genau so mit anderen Kindern. Andere Kinder können so viel was er nie können wird aber nur wenige können so hübsch sein. Und es macht mich so stolz, ich verstehe bis heute nicht warum ausgerechnet unser Sohn so hübsch war. Rene und ich sind sicher nicht hässlich aber bei weitem nicht so hübsch wie Joep. Er ist halt unser kleines Wunder.

Manchmal habe ich Angst dass ich das nur denke weil ich seine Mama bin. Jede Mama findet ihr Kind doch am aller schönsten. Aber dann versichern mir auch andere dass Joep auch objektiv betrachtet außergewöhnlich hübsch war. Und ich entscheide mich dazu ihnen zu glauben. Ja meiner war wirklich hübsch.

Letztens sagte ich zu Rene dass ich hoffe dass sein kleiner Bruder auch hübsch wird. Aber er soll auf keinen Fall noch hübscher werden. Hübscher als Joep war bis jetzt kein Baby das in unserem Umfeld geboren wurde und das soll  bitte so bleiben.

Rene lachte mich fast aus und sagte ich soll realistisch sein. Joep war der Jackpot in Sachen Schönheit. Mehr haben wir nicht zu bieten, ob ich uns selbst denn schonmal richtig angeguckt habe. Und es beruhigte mich. Ja, Joep hatte wirklich nur das Beste von uns. Wie soll der kleine denn noch hübscher werden... Das ist einfach unrealistisch.