30.11.2016

Wenn dein Name genannt wird aber ein anderer Joep gemeint ist

Joep, über deinen Namen haben wir so lange nachgedacht. Es ist ein alter niederländischer Name den man auch auf Deutsch gut aussprechen kann wenn man ein wenig der niederländischen Sprache mächtig ist und weiß dass 'oe' 'u' ausgesprochen wird.

In Deutschland gibt es keine Joeps, ich kenne nicht mal einen Jupp. Der Lieblingsopa meiner Mutter wurde Jupp gerufen. Das war aber nur ein besonderer Zufall der deinen Namen noch besonderer machte. Ich kannte seinen Namen nicht denn Mama erzählte immer nur über ihren Opa, seinen Namen hatte ich vergessen.

In Holland gibt es mehr Joeps aber ich kenne außer dir. Ich habe nie einen anderen Joep kennen gelernt. Als Papa ein kleiner Junge war hatte er einen besten Freund der Joep hieß. Mehr Joeps gab es in unseren Leben nicht. Seitdem du geboren wurdest habe ich nur einmal im Radio deinen Namen gehört. Ich erschrak aber es tat mir überraschender Weise nicht so weh wie ich gedacht hätte.

Gestern im Büro sass dann jemand neben mir der in ein Gespräch über einen Joep verwickelt war. Ich hörte deinen Namen, immer und immer wieder aber sie sprachen nicht über dich. Ich war wie in Trance als meine Kollegin lachend 'Joepie de Poepie' sagte. Dein Name gefiel uns so gut weil er sich immer fröhlich anhört und er so einfach gereimt werden kann. Wir nennen dich immer Joepisnoepi. Aber jetzt wird also ein anderer Joep 'Joepie de Poepie' genannt. Niemals werden Leute über ihren Kollegen Joep reden und damit dich meinen. Mein Herz brach und ich weinte, meine Gefühle übermannten mich und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Auf einmal vermisste ich dich so sehr und war der Schmerz den ich fühlte so intensiv.

Meine Kollegin die 'Joepie de Poepie' sagte entschuldigte sich sofort als sie mich weinen sah. Vor 22 Jahren verlor sie ihren Sohn Joeri während der Geburt. Sie sagte dass doch gerade sie es besser hätte wissen sollen und sie einfach nicht nachgedacht hatte. Ich war ihr keinen Moment böse, ich weinte nicht weil sie deinen Namen reimte und jemand anderen meinte sondern weil ich dich so vermisse mein lieber Joep. 

Eine andere Kollegin fragte mich ob ich jetzt dein schönes Gesicht vor mir sehe und an dich denke wenn ich ständig deinen Namen höre, ich sagt dass ich gar nicht dachte, ich fühlte nur und kämpfte gegen meine Tränen. Ein Kampf den ich nicht gewinnen konnte. Letzte Woche war so schwer für mich und diese Woche fließen die Tränen noch so einfach. Die Traurigkeit packt mich und reißt mich ohne Mühe zurück, ganz tief in den Schmerz.

Zufällig las ich gestern Morgen bevor das geschah ein Stück von einer anderen Mama die den Namen ihres Sohnes hörte und es ihr so weh tat den Namen zu hören. Ich sagte ihr dass es sicher ein Zeichen von Roan war. Ich wollte diese schmerzhafte Erfahrung für sie zu etwas Schönen machen. Natürlich war es ein Zeichen von ihrem schönen kleinen Sohn, für mich war das gar keine Frage. Diesen Optimismus brauchen wir zum überleben.

Ein paar Stunden später sass ich also weinend im Büro und ich dachte nicht an meine eigenen Worte. Der Schmerz übermannte mich, ich fuhr nach Hause und erst im Auto konnte ich aufhören zu weinen und kam ich ein wenig zur Ruhe.

Heute morgen erinnerte ich mich wieder daran was ich Elizabeth sagte. Es war ein Zeichen! In dem Moment dachte ich dass es auch ein Zeichen von meinem Joep war. Wer reimt denn schon außer uns deinen Namen? Das machen wir. 'Joepipoepi' haben wir auch oft gesagt bevor du geboren wurdest!

Heute schaffe ich diese erst so schmerzhafte Erfahrung so hin zu biegen dass es eine schöne Erfahrung ist. Joep sagte 'Hallo' so wie nur er es kann, es war dein Zeichen.

Als ich gestern nach der Arbeit nach Hause kam schien die Sonne noch gerade so ins Schlafzimmer. An meinem Schlafzimmerfenster hängt ein Regenbogendiamant und das ganze Schlafzimmer war voller kleiner Regenbögen. Mir war sofort klar dass das ein Zeichen von Joep ist, es war so tröstend. Regenbogen erkenne ich immer sofort als dein Zeichen, auch wenn es nur eine Reflection in Regenbogenfarben ist. Dann sage ich dir immer hallo und dass ich dich liebe. Aber auch deinen Name werde ich in Zukunft versuchen als Zeichen zu interpretieren. Dein wunderschöner Name der so zu dir gehört, warum sollte der mich nicht glücklich machen!

Mein lieber schöner Joep. Ich liebe dich!

24.11.2016

Joepkissen

Kurz nachdem Joep gestorben ist haben wir von meinen Eltern ein Kissen geschenkt bekommen auf dem ein grosses Foto von Joep ist.

Bis heute schlafen wir jede Nacht mit dem Kissen im Arm. Einer von uns hält das Kissen immer fest, auf diese Art und Weise können wir doch noch mit Joep kuscheln. So anders als wir uns das vorgestellt haben aber es tut uns wohl gut. Das Kissen ist weich, lange nicht so weich wie Joep war aber wir fühlen uns nachts geborgen wenn wir das Kissen im Arm halten.

Außerdem haben wir die kleine Decke unter der Joep immer lag noch zwei mal gekauft. Joep wurde unter dieser Decke beerdigt und schläft jetzt für immer unter dieser Decke. Anfangs schliefen wir auch immer unter den Deckchen. Erst hatten wir nur eine aber als Rene eine Woche für die Arbeit nach Serbien musste habe ich noch eine gekauft. Ich wollte dass Rene die Decke mitnimmt weil er sie doch braucht. Für ihn war es viel schwerer in Serbien als für mich alleine zuhause. Aber sobald die Decke aus dem Haus war brauchte ich sie auch also habe ich sie nochmal gekauft. Ich brachte Rene zum Flughafen und fuhr erst zum Ikea bevor ich nach Hause fuhr. Ich  musst sogar warten bis der Ikea aufmachte aber das war kein Problem. Jetzt liegen die Decken auf dem Kopfstück des Bettes aber wir benutzen sie nur noch wenn es und richtig schlecht geht.

Das war Anfangs unsere einzige Medizin. Wenn es uns richtig richtig schlecht ging lagen wir auf dem Bett, Joeps Kissen im Arm, Joeps Kätzchen in der Hand und Joeps Decke über uns. Dann fühlten wir uns immer etwas besser.

23.11.2016

Die Achterbahn

Wenn ich mich für eine Metapher entscheiden muss die mein Leben beschreibt dann ist es die Achterbahn.

Mein Leben ist ein einziges auf und ab. Manchmal fühlt sich die Achterbahn eher an wie ein Kinderkarussel, dann geht es mir Tage lang gut aber dann ganz plötzlich und aus dem nichts stürze ich wieder ab und falle so tief dass ich mich erschrecke. Gestern war so ein Tag, ich wurde wach und mir war sofort klar dass es ein schlechter Tag ist. An solchen Tagen vermisse ich Joep noch mehr, dann ist der Schmerz jede Sekunde da, dann weigert mein Kopf sich an etwas anderes als an Joep zu denken. Dann kann ich nicht stark sein, dann fließen meine Tränen unaufhörlich und ich kann nicht dagegen tun ausser meine Kopfschmerzen mit Paracetamol bekämpfen.

Heute vor 9 Monaten kämpfte Joep in meinen Armen um sein Leben. Es war ein ungerechter Kampf den er nicht gewinnen konnte weil niemand ihm dabei helfen wollte/konnte. Ihm war sicher nicht bewusst dass er sterben musste, er hat so lange gekämpft und sich dagegen gewährt. Joep hatte keine Chance.

Und jetzt nenne ich mein Leben eine Achterbahn weil der tiefe Schmerz mich immer wieder so plötzlich überrascht und mich überfällt. Es ist eine Achterbahnfahrt ohne echte Höhen, ohne Glücksschreie und ohne Adrenalin das für diesen glücklichen Rausch sorgt in dem man denkt dass man alles kann. Oft fühle ich mich als ob ich nichts kann, dann habe ich keine Energie. Ich fühle mich abwechselnd ok und schlecht, manchmal geht es mir fast gut. Aber 'gut' ist ein Wort dass ich fast nie benutze. Wenn ich früher sagte dass es mir gut ging ging es mir so viel besser als jetzt. Richtig gut geht es mir nicht mehr. Richtig gut wird es mir nie wieder gehen denn Joep wird mir immer fehlen. Mein Leben wird nie wieder gut denn Joep kommt nie wieder zurück.

Aber auch meine Gefühle für Joep sind eine Achterbahn. Diese unfassbar starke Liebe die ich immer für ihn empfinde, dieser Stolz der dazu gehört wenn ich an ihn denke wechselt sich ab mit dieser tiefen Traurigkeit.

Anfangs war mein Leben eine Achterbahnfahrt in der ich Angst um mein Leben hatte. Eine Achterbahnfahrt von der ich wusste dass andere sie vor mir nicht überlebt haben, also habe ich mich am Bügel festgeklammert und ihn nicht mehr losgelassen, Rene sass neben mir und hat gut aufgepasst dass ich auch genug Kraft hatte um mich zu halten und wenn ich Mal keine Kraft hatte hat er mich festgehalten. Mittlerweile ist die Achterbahnfahrt nicht mehr gefährlich. Ich habe mich daran gewöhnt und sie ist jetzt mein Leben. Rene sitzt noch immer neben mir auf dieser Fahrt. Zusammen gehen wir durch hohen und Tiefen. Wenn es dem anderen schlecht geht geht es einem selbst auch sofort schlechter. Wir fahren die selbe Strecke.

Joep hat uns auf diese Achterbahn gesetzt und ich werde niemals absteigen können. Das Gefühl zu fallen wird immer Teil meines Lebens sein. Aber ich weiss es dass nach dem Fall auch wieder hoch geht. Es ist Joeps Achterbahn und ich will gar nicht absteigen. Joep wird immer Teil meines Lebens sein und mit ihm auch diese Achterbahn.

Früher liebte ich Achterbahnen. Vielleicht schaffe ich es ja auch irgendwann diese Achterbahn zu lieben. Schon jetzt wünsche ich mir manchmal wenn es mir Wochen lang ok ging dass ich nochmal fallen kann. Damit ich weiss dass ich all diese Gefühle noch für Joep habe und ich sie noch fühlen kann. Er verdient doch jedes Gefühl. Ich weiss genau dass wenn ich falle ich nur wieder zurück nach oben will aber wenn ich zulange oben bin sehne ich mich auch nach der Tiefe und dem Schmerz der unten auf mich wartet.

Wie es sich für eine gute Achterbahn gehört falle ich schnell und tief. Wenn ich dann wenn ganz am Boden bin merke ich irgendwann wie es ganz ganz langsam wieder hoch geht. Heute morgen geht es wieder langsam bergauf. Wie lange es dauert bis ich oben bin weiss ich nicht. Ob ich in einmal ganz nach oben fahre oder ob ich vorher nochmal falle weiss ich nicht.

Joep ich liebe dich von ganzem Herzen. Mein Schönster, mein Perfekter! Ich lebe nicht ohne dich, ich lebe mit dir. Du bist immer bei mir, auf deine Art und Weise gehörst du immer dazu.

14.11.2016

Über Trauer redet man nicht

Als ich wusste dass Joep sterben muss wusste ich nicht was auf mich zu kommt. Trauer - was ist das? Ich habe vorher nie richtig getrauert, dass weiß ich heute. Die grösste Trauer die ich bis dato hatte war als meine Großeltern oder Haustiere starben. Alle sind so viel älter geworden als Joep und immer ging es mir nach ein paar Wochen wieder gut. Es war so viel einfacher um diesen Verlust in mein Leben zu verweben als den Verlust den ich jetzt habe. Ich konnte einfach weiter leben wie zuvor, es hatte kaum Einfluss auf mein Funktionieren. 

Ich kannte niemanden dessen Kind kurz nach der Geburt gestorben ist, ich kannte niemanden der mitgemacht hat was wir jetzt mitmachen und darum wusste ich auch überhaupt nicht was auf mich zukommt. Jetzt wo Joep tot ist kennt plötzlich jeder Leidensgenossen, jeder scheint jemanden zu kennen dessen Kind gestorben ist. Aber wie kann das? Warum höre ich jetzt erst davon? Warum wurde nie darüber geredet? Es scheint ein Tabu zu sein.

Darf man heutzutage keine Schwäche zeigen? Menschen finden es schwierig um mit der Trauer anderer konfrontiert zu werden. Ist die Angst anderer Elter zu gross dass ihre Kinder sterben könnten dass sie lieber nicht daran denken oder darüber reden? Der Tod meines Kindes ist nicht ansteckend. Denken Eltern deren Kinder gestorben sind dass sie nicht darüber reden dürfen weil es für die Aussenwelt zu schwierig ist? Haben sie Angst vor schmerzhaften Reaktionen? Oft reagieren Menschen so schlecht, verletzen uns ohne es zu ahnen, machen alles Falsch. Ich weiß nicht warum der Tod seines Kindes und die Trauer um sein Kind so ein Tabu sind. Es stört mich, ich hätte vorbereiteter sein können. Ob es mir geholfen hätte weiß ich nicht, aber ich hätte wissen können was mich ungefähr erwartet, dass ich nicht allein bin. Weil die Gesellschaft der Meinung ist dass man über seine verstorbenen Kinder nicht redet waren wir unvorbereitet und 100% sicher dass Joep nicht sterben würde, sowas passiert doch nicht uns. So etwas passiert im Film oder Bekannten von Bekannten. Jetzt bin ich so eine Bekannte... Jetzt hat mein Leben das potential ein Film zu werden.

Ich denke dass jede trauernde Mutter die ich bis jetzt gesprochen habe immer die gleichen Fragen hatte: 'Bin ich normal? Ist dass was ich fühle normal? Wie machen andere es? Gibt es noch Menschen die mich verstehen?' Der Grund warum wir alle nicht wissen ob wir normal sind ist weil wir niemanden kannten der das auch erlebt hat. Oft bekommt man doch das Gefühl vermittelt dass Menschen denken dass es alles zu lange dauert, dass wir uns zu sehr hängen lassen. Nur andere Eltern die ihr Kind vermissen verstehen dass es nicht so ist und wissen wie hart wir jeden Tag kämpfen. Nur sie verstehen was Trauer auch körperlich mit einem macht. 

Wir sind nicht depressief aber damit kann man es doch am Besten vergleichen. Früher war Depressivität ein Tabu, heute wird darüber ganz normal gesprochen. 

Ich kannte so viele Menschen die mit Depressivität zu kämpfen hatte aber keine Eltern die ihr Kind verloren haben. Irgendwie haben wir es doch geschafft um offen über Depressivität zu reden, ich hoffe irgendwann werden wir auch offen über den Verlust unseres Kindes reden können. Ich werde zumindest immer darüber reden wenn mir danach ist. Für mich ist es kein Tabu, für mich ist es nicht zu privat. Ich denke immer: 'wenn ich XY erkläre wie ich mich fühle, wie es mir geht, wie schwer die Trauer ist und was ich von XY erwarte, dann kann XY das nächste mal wenn er mit jemanden redet der auch so etwas erleben musste zumindest richtig reagieren.' Außerdem merke ich dass Menschen in meiner Umgebung dankbar sind dass ich so offen darüber rede, es macht es für sie auch einfacher, ich bin zugänglicher. Auch dieser Blog macht es für viele einfacher, sie verstehen wie es mir geht. Ich musste zum Glück nicht oft erleben dass Menschen mich meiden, das habe ich mir selbst zu verdanken. 

Trauern gilt als Unterbrechung des Lebens, nicht als Teil des Lebens

Manchmal google ich über Trauer, um andere Geschichten zu lesen so wie meine, um zu lesen wie andere über Trauer denken und wie sie damit umgehen. Heute wollte ich googlen wie lange die Trauer um sein Kind durchschnittlich dauert. Wir haben es schon mal gegoogelt, kurz nachdem Joep gestorben ist, die Antwort war 2 - 5 Jahre. Warum ich jetzt plötzlich wieder googlen wollte? Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich hoffe die Texte heute besser zu verstehen? Ich bin so viel weiter als damals. Ich verstehe Trauer heute viel besser.

Ich sitze nicht mehr 24/7 in einem schwarzen Loch aus dem ich nicht raus komme. Ich fühle mich nicht mehr depressief, ich bin einfach traurig, ich trauere um Joep.

Heute habe ich etwas gelesen worüber ich zuvor nie nachgedacht habe was aber 100% wahr ist. 'Meine Welt steht still/stand still'  - wahrscheinlich habe ich das hier oft geschrieben. So fühlt es sich auch an, jeder lebt weiter aber wir nicht. Gerade lese ich also diesen Artikel und mir wird bewusst dass es Unsinn ist. Meine Welt steht nicht still, mein Leben geht weiter, aber ich trauer. Trauer ist Teil meines Lebens, ich lebe mein Leben nicht so wie vor einem Jahr aber das ist nicht falsch. Mein Leben steht nicht still, ich lebe mein Leben! Ich lebe es so wie es sich richtig anfühlt.

Ich lebe anders als vorher ja, wenn Leute denken dass es schlecht oder falsch ist, dass ich wieder mehr sein sollte wie ich war dann haben sie Unrecht. Wenn sie denken ich schmeiße mein Leben weg weil ich es momentan nicht lebe dann haben sie Unrecht. Mein Leben steht nicht still, ich lebe mein Leben einfach anders als früher. Ich hatte mir meine Zukunft anders vorgestellt ja, aber so wie ich mein Leben jetzt lebe fühlt es sich richtig an. Es ist gut so, wir machen es gut!

Unser Leben ist so anders als wir dachten, aber wir haben unser Leben nicht aufgegeben. Wir tun was sich richtig anfühlt, wir kämpfen um zu leben. Warum dachte ich dass mein Leben still steht wo ich doch  jeden Tag so kämpfe. Natürlich geht mein Leben weiter. Ich hätte das so viel früher verstehen sollen... Aber jeder nickte immer ab wenn ich sagte meine Welt steht still...

11.11.2016

Trauerpsychologin

Nachdem Joep gestorben ist sagte mir jeder wie stark ich bin und wie gut Rene und ich es doch alles machen. Das wir wirklich alles richtig machen. Aber ich hatte nicht das Gefühl dass wir es richtig machten, alles fühlte sich einfach schlecht und falsch an und ich konnte niemanden vertrauen.

Was wusste denn meine Familie? Meine Freunde? Was wussten gar die Fremden die wir sprachen, die uns 10 Minuten erlebt haben. Niemand war wirklich bei uns. Niemand fragte uns wie denn die ganz schlechten Momente sind in denen wir mit niemandem reden wollten, in denen wir niemand sehen wollten. Niemand wusste wie es wirklich ist. Wie konnte ich ihnen dann glauben dass wir es wirklich gut machen, dass wir auf dem richtigen Weg sind?

Meine Hebamme meinte immer wieder ich solle zu einer Trauerpsychologin, aber ich hatte keine Energie mir eine zu suchen. Ich dachte wie soll sie mir denn helfen? Jeder sagte mir dass ich das nicht nötig hätte. Irgendwann hat sie mich dann überzeugt und ich habe mir gedacht, warum nicht. Was habe ich zu verlieren? Ich wollte dass mir jemand sagt dass ich es gut mache, dass ich wirklich gesund trauere, dem ich glauben kann. Wenn ich jemanden das glauben kann, dann doch einer Trauerpsychologin die den ganzen Tag nichts anderes tut als Menschen wie mich zu betreuen. Sicherlich nicht immer Mamas, aber Trauer ist Trauer dachte ich mir.

Ich habe keine Therapie, ich denke auch nicht dass ich die brauche aber mit ihr zu reden tut mir gut. Anfangs hatte ich alle 3 bis 4 Wochen einen Termin, jetzt alle 8 Wochen. Ich brauche jemanden der mich kontrolliert, der mich zur Not warnen kann wenn es doch schief gehen sollte. Mein Betriebsarzt warnte mich davor dass es sein kann dass ich eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickel. Joeps kurzes Leben war voller traumatischer Erlebnisse die dazu führen können, zum Glück habe ich bis jetzt keine Symptome. Eine Psychologin zu haben die mich betreut gibt mir das Gefühl dass ich alles richtig mache, dass ich alles daran tue um so schnell wie möglich auf die beste Art und Weise wieder glücklich zu werden.

Dass ist mein Ziel, ich habe Joep versprochen wieder glücklich zu werden und ich arbeite daran. Jeden Tag, ich tue mein bestes um ihn Stolz zu machen.

08.11.2016

Wir mussten alles neu lernen

Nachdem Joep gestorben ist konnten wir nichts mehr. Wir waren selbst wie Kleinkinder, unfähig um uns selbst zu versorgen. Mir fiel alles aus den Händen, wir waren so ungeschickt.

Natürlich hatten wir noch alle Fähigkeiten die wir hiervor hatten, aber irgendwie waren auch die weggesteckt hinter einem dunkeln Mantel aus Trauer. Wir hatten keine Energie uns auf irgendetwas zu konzentrieren, keine Energie um etwas zu tun. Aufstehen und duschen war eine Tagesaufgabe die wir zwar immer geschafft haben aber oft zu unmöglich erschien.

Wir mussten wieder lernen mit Menschen zu reden. Ich erinnere mich dass Rene irgendwann eine Email an seinen Arbeitgeber schreiben wollte und dass er für eine Email Tage brauchte anstatt 20 Minuten.

Unsere Konzentration war so schlecht, wir vergassen einfach alles. Wir mussten lernen alles in unseren Kalender zu schreiben und selbst das hat oft nicht geholfen.

Wir mussten lernen uns durch zu setzen, Menschen die er viel zu gut mit uns meinten ihre Grenzen spüren lassen. Wir mussten lernen 'nein' zu sagen. Jede Konfrontation war uns eigentlich zu viel, zu schwer.

Rene konnte nicht nein sagen und wenn er zu viel tat dann fiel er innerhalb von 5 Minuten in einen so tiefen Schlaf dass ich ihn stundenlang nicht wecken konnte. Er wurde 3 Stunden später mit Muskelkater und Schmerzen im ganzen Körper wach und fühlte sich Tage lang extra schlapp.

Wir mussten lernen für uns zu sorgen, 3 mal am Tag zu essen aber nicht zu viel zu essen. Wir mussten lernen wieder regelmäßig zu kochen, das dauerte mindestens ein halbes Jahr und noch heute kochen wir nicht so ausgebreitet wie früher.

Anfangs haben wir beide zugenommen, Essen machte nicht glücklich aber es war angenehm zu essen. Wir bestellten das erste halbe Jahr fast jeden Tag essen, gesund ist das natürlich nicht. Mittlerweile sind viele Kilos die wir zugenommen haben wieder runter. Ich wiege noch 1 kg mehr als vor der Schwangerschaft, Rene wiegt wieder was er vor der Geburt wog. Aber es war ein langer Weg.

Wir mussten lernen einkaufen zu gehen und nach unseren Bedürfnissen ein zu kaufen. Oft kauften wir ein um zu kochen nur damit es Ende der Woche alles im Müll landete. Wir hatten einfach keine Energie zu kochen. Irgendwann sind wir umgestiegen und haben nur noch sachen gekauft die max 10 minuten kochzubereitung hatten. Und auch das war noch zu viel, dann wurde es Suppe aus der Dose oder Tiefkühlpizza. Anstatt zu kochen haben wir meistens Salat gemacht.

Im Sommer haben wir dann einen Gasgrill gekauft und oft gegrillt. Wir haben Würstchen und Kartoffelsalat beim Metzger gekauft, dass ging schnell und war lecker.

Haushalt war auch zu viel für uns, wir mussten lernen jeden Tag ein bisschen zu machen. Eigentlich habe ich das zu 90% übernommen. Aber oft habe ich die Wäsche 2 Tage in der Waschmaschine vergessen und musste ich sie nochmal waschen. Ich habe nicht mehr darauf geachtet ob die Sachen evtl besser nicht in den Trockner konnten, alles kam in den Trockner weil ich keine Energie hatte etwas auf zu hängen. Alles kam immer in die Spülmaschine, von Hand abwaschen war keine Option.

Irgendwann hat eine Freundin für uns gestaubsaugt und ich war ihr so dankbar. Es war so eine Kleinigkeit für sie aber es hat mich so entlastet.

Wir wollten Sport machen, aber wir hatten keine Energie. Im Sommer haben wir oft das Fahrrad genommen anstatt mit dem Auto zu fahren, aber das ist jetzt auch vorbei. Wir haben jetzt angefangen zuhause zu trainieren, bis wir genug Energie haben fürs Fitnessstudio.

Es fühlte sich an als ob wir alles wieder neu lernen mussten. Wir mussten lernen wieder zu leben. Wir lernen es noch immer. Meine Konzentration ist noch immer nicht was sie mal war, ich habe noch immer wenig Energie. Ich arbeite jetzt vier Tage die Woche für drei Stunden und ich merke dass das momentan genug ist, dass mehr nicht gut wäre. Ich lerne wieder zu arbeiten, auch arbeiten gehört in mein Leben.

Lachen

Man sagt Lachen ist gesund. Rene und ich haben immer viel gelacht, wir haben einen ähnlichen Humor und können gut miteinander lachen. Das ist einer der Gründe warum wir so gut zusammen passen und so glücklich miteinander sind.

Die Tage nachdem Joep gestorben ist waren so unfassbar schwarz. Alles was wir konnten war aufstehen, duschen und zu Joeps Grab gehen. Ein paar mal die Woche sind wir mit Freunden und Kollegen mittags was essen gegangen. Wir fanden es wichtig um raus zu gehen, es gab die ersten Monate keinen Tag an dem wir nicht raus gegangen sind. Aber seit Joep gestorben ist gab es keinen einzigen Tag an dem wir nicht kurz gelacht haben. Wir haben uns nie gezwungen zu lachen, es kam von selbst, ganz natürlich.

Wir lachen zwar nicht mehr so ausgelassen und Lachen bedeutet auch nicht mehr dass wir glücklich sind. Aber wir haben unseren Humor nicht verloren und es gab jeden Tag zumindest noch kleine Momente in denen wir gelacht haben. Anfangs über uns und Joep, mit und mit gab es immer mehr Gründe zu lachen.

Wir erkannten uns selbst nicht mehr nach Joeps Tod, wir waren so unbeholfen und das war irgendwie auch lustig. Unsere Reaktionen waren übertrieben, auf alles. Wir konnten nichts daran tun aber Rene böse zu sehen fand ich immer lustig, heute noch. Es passt einfach nicht zu Rene, Rene ist nie sauer auf jemanden. Wenn er jetzt plötzlich sauer wird und total überreagiert muss ich lachen.

Es ist gut das wir noch Lachen können. Es ist Joeps geschenk an uns. Wir werden immer lachen und Joep wird immer mitlachen und stolz sein.

05.11.2016

Wer war ich? Wer bin ich?

Durch Joep habe ich mich verändert. Ich bin nicht mehr wer ich war, das ist eindeutig. Aber wer bin ich jetzt? Was hat sich verändert und wer werde ich in Zukunft sein?

Anfangs hat mir das Angst gemacht, ich werde nie wieder sein wer ich mal war. Ich war immer zufrieden mit wer ich war. Ich mag alles an meinen alten ich. Aber viel davon ist weg, zumindest im Moment nicht mehr sichtbar, ob es wieder zurück kommt wird nur die Zeit zeigen können. Es dauerte eine Zeit bis ich verstand dass Veränderung nicht automatisch bedeutet das ich mein neues ich weniger mögen werden als mein altes. Ja ich bin anders, aber auch wenn Joep noch leben würde hätte er mich verändert. Kinder verändern einen Menschen und ich arbeite daran um ein guter Mensch zu bleiben. Ich habe Joep versprochen um immer ein guter Mensch zu sein und daran werde ich mich halten.

Früher war ich lebensbejahend, ich war immer Optimist und positiv. Ich war bewusst naiv, ich wollte naiv sein und in allem und jedem immer das Beste sehen. Ich war extrovertiert, gerne unter Leuten. Menschen gaben mir Energie, ich mochte Menschen und Menschen mochten mich. Ich hatte immer eine sehr gute Menschenkenntnis wodurch ich auch bewusst naiv sein konnte, meine Intuition sagte mir wer gut für mich ist und wer nicht. Ich habe immer auf mein Bauchgefühl vertraut und das ging immer gut, ich wurde nie von Menschen enttäuscht denen ich vertraute. Ich war 100% loyal gegenüber meiner Familie und meinen Freunden. Ihr Wohl war mir immer wichtiger als mein Eigenes. Ich war hilfsbereit und hatte die meiste Zeit ein Lächeln im Gesicht. Ich war glücklich, ich fand mein Leben perfekt und ich hatte alles was ich wollte. Meine Arbeit machte mir Spass weil ich meine Kollegen sehr mochte, ich ging gerne zur Arbeit, ich hatte immer Verabredungen zur Mittagspause, ich wurde gemocht. Ich habe früher viel gelacht, aufrichtig gelacht.  Ich war immer ehrlich, sagte was ich dachte und kam für mich selbst auf wenn es nötig war. Ich war mit mir selbst im Reinen und ich mochte mich wirklich so wie ich war. Ich hatte nie große Ansprüche, eine kleine Wohnung reichte mir, ich hatte alles was ich zum Glücklichsein brauchte.

Es ist nicht so dass ich diese Eigenschaften verloren habe. Ich weiss dass sie noch da sind aber ich kann nicht mehr bewusst naiv sein. Ich weiss es jetzt einfach besser. Ich denke die größte Veränderung an mir ist das ich das Vertrauen in eine gute Welt verloren habe und dass alles was mich glücklich machte mir heute nicht mehr genug ist. Ich bin auch nicht mehr extrovertiert, Menschen können mir all meine Energie und Kraft rauben wenn sie über Dinge reden die mich in dem Moment nicht interessieren. Aber ich will dann auch nicht unhöflich sein, oft Träume ich in Gesprächen weg und höre nicht mehr zu, wenn Menschen dann nicht merken dass ich nicht zuhöre und weiter reden dann geht es mir immer schlechter. Unsensibele Menschen rauben mir so viel Energie. Ich bin noch immer sehr offen was meine Gefühle betrifft. Jeder kann und darf wissen wie es mir wirklich geht und warum ich wie reagiere, was ich von Leuten erwarte. Ich höre oft dass Menschen in meiner Umgebung sehr dankbar dafür sind, dass ich es ihnen dadurch leichter mache.

Was sich vor allem geändert hat ist dass ich keine Leidenschaft mehr habe, nichts macht mir noch richtig Freude. Sachen die mir früher viel Spass machten will ich heute nicht mehr machen, sie rauben mir zu viel Energie, ich hab zu wenig Energie. Rene und ich lachen noch jeden Tag und seitdem Joep gestorben ist gab es keinen Tag an dem wir nicht zumindest kurz gelacht haben. Aber wir lachen viel weniger und viel oberflächlicher. Wenn ich lache kann es sein dass ich in der Sekunde in der ich aufhöre zu lachen ich schon wieder nur Traurigkeit fühle und mir nicht mehr nach Lachen zumute ist, dass ich den Tränen näher bin als dem Lachen.
Ich bin noch immer ein guter Mensch, hilfsbereit. Aber ich musste mich selbst an erste Stelle stellen und das war nicht immer einfach.

Ich bin noch immer für viele Sachen sehr dankbar.  Familie, Freunde, Arbeit und alles was wir besitzen. Aber es macht mich nicht mehr so glücklich wie früher. Es ist nicht genug, Joep fehlt mir immer.  Ich werde wohl nie genug haben, immer wird mir etwas fehlen. Immer wird mir Joep fehlen.  Sie sagen die Traurigkeit wird weniger werden und ich merke es auch. Ich weine weniger, ich fühle mich nicht mehr depressiv. Der nächste Schritt ist wohl wieder mehr Glück zu fühlen und wieder lernen auf eine gute Welt zu hoffen. Was mir vor allem fehlt ist dass ich nicht mehr bewusst naiv bin. Dass ich das Vertrauen in die Welt und in das Gute verloren habe. Ich bin eher Pessimist/Realist als Optimist.  Meine rosa rote Brille wurde von meiner Nase gerissen und zertreten. Die Welt ist nicht gut und ich muss lernen daraus das Beste zu machen.

Ich habe noch immer Angst vor der Zukunft, Angst davor was uns noch erwartet, vor allem Schmerz den ich noch überleben muss. Aber ich habe keine Angst mehr vor Sachen die mir früher Angst machten. Das Schlimmste was wir je mitmachen müssen haben wir überlebt und ich mache mir keinen Kopf mehr um die Kleinigkeiten die mich früher stressen konnten. Ich finde vieles nicht mehr wichtig, bin vielleicht sogar noch entspannter als vorher was das betrifft. Wozu sollte ich mir um Alltägliches Sorgen machen wo es doch in keinem Verhältnis zu dem steht was wir schon durchgemacht haben. Es war mir immer egal was andere von mir dachten aber jetzt ist es mir noch egaler. Natürlich will ich dass man mich mag aber es stört mich nicht wenn es nicht so ist. Solange ich mich selbst mag und von mir selbst sagen kann dass ich ein guter Mensch bin ist alles in Ordnung. Ich weiss dass mich niemand verstehen kann, warum sollten mich also alle mögen wenn sie mich nicht verstehen. Wohl habe ich Angst in alltäglichen Situationen, wenn ich jemandem begegne den ich seitdem ich schwanger war nicht gesprochen habe, dann habe ich Angst vor ihrer und meiner Reaktion. Es erinnert mich so sehr an meinen Schmerz, ich weiss nicht wie ich reagieren soll, ich habe Angst. Aber wenn sie nichts sagen dann finde ich das auch schrecklich, also spreche ich es immer an wenn ich mit jemandem rede. Ich weiss dass mein Gegenüber auch Angst hat mit mir über Joep zu reden, also bin ich die Stärkere und rede über ihn. Verrückt dass ich die Starke sein muss in diesen Situationen, wo es meinem Gegenüber doch viel leichter fallen sollte als mir.

Wer ich in einem halben Jahr bin weiss ich nicht. Wer ich in 3 Jahren bin weiss ich nicht aber ich hoffe dass ich dann wieder aufrichtig glücklich sein werde, dass wir dann wieder Kinder im Haus haben die mir dabei helfen wieder glücklich zu sein und mir zeigen wie gut es ist naiv zu sein.

03.11.2016

Fotos

Wir haben viele Fotos von Joep, wahrscheinlich mehr als alle anderen Eltern normalerweise in der ersten Woche machen. Trotzdem habe ich viel zu wenig Fotos von Joep. Ich konnte nur 8 Tage lang Fotos machen, ich sollte jetzt schon 8 Monate lang Fotos machen.

Anfangs standen Joeps Fotos natürlich noch ganz oben in meinem Telefon, aber mittlerweile muss ich wirklich weit scrollen um zu seinen Fotos zu  kommen oder das Fotoalbum öffnen in dem ich alle Fotos von ihm habe. Die Zeit geht weiter und mein Handy ist der beweis, jeden Monat muss ich wieder etwas länger scrollen. Auch wenn ich nur sehr wenig Fotos mache, Joeps Fotos sind sooo weit unten, ich muss mittlerweile so weit scrollen und es wird immer weiter werden.

Eltern machen Fotos von ihren Kindern, ich bekomme oft Fotos von Kinder, von meinen Nichten und Neffen oder von den Kindern von Freunden, wenn ich sie nicht geschickt bekomme sehe ich sie auf Facebook. Immer wieder neue Fotos.

Wir können das nicht. Alle Fotos die wir von Joep haben und die wir jemals haben werden wurden im Februar genommen. Wir können keine neuen Fotos machen, ich kann nicht stolz jedem zeigen was Joep jetzt kann.

Ich kann nur Fotos von seinem Grab machen.