19.10.2018

Wenn die Gedanken schweifen

Heute Abend ist ein ganz normaler Abend. Der Boef schlief gerade als es an der Türe klingelte, natürlich fing er an zu weinen und war untröstlich. Er hatte sich richtig erschreckt. Also entschied ich mich nach einer Zeit ihn doch in den Schlaf zu stillen. 

Während ich in dem gemütlichen Stuhl in seinem Zimmer sass dachte ich an meine kleine Nichte. Joeps Cousine ist jetzt älter und schwerer als er. Dabei ist sie so winzig klein. In meiner Erinnerung war Joep nicht so klein... Ich dachte daran wie ich ihn festgehalten habe. Als er starb durfte ich ihn endlich richtig halten. Ich versuchte mich daran zu erinnern wie klein er war, wie es war als ich ihn hielt.

Dann erinnerte ich mich an eine Situation für die ich mich so geschämt habe. Ich habe mich gefühlt wie eine Rabenmutter. Ich hielt den toten Joep im Arm und wollte ihn mir anders in den Arm legen. Da passierte es. Ich hatte seinen Kopf nicht gut gehalten und sein Köpfchen fiel zur Seite. René und die Krankenschwester schnellten im Reflex auf mich zu. Bevor mich jemand erreichte hatte ich seinen Kopf schon wieder in der Hand und unterstützte ihn. René schimpfte das ich aufpassen muss. Ich fühlte mich schrecklich. Joep war gerade gestorben und offensichtlich war ich wirklich nicht in der Lage mich um mein Baby zu kümmern.  Würde er leben würde ich jetzt bestimmt ins Krankenhaus fahren dachte ich, wie ein Stein war sein Kopf gefallen... Doch ich sagte zu René das es keinen Grund gibt zu schimpfen. Tot ist tot. Es ist nichts passiert. Ich konnte Joep nicht mehr schaden.

Seitdem versuche ich dieses Gefühl zu verdrängen. Ich weiss das ich Joep eine gute Mutter war und bin. Ich weiss das es mir unter anderen Umständen nie passiert wäre. Aber es ist passiert und das Gefühl das ich ihn hätte verletzten können verfolgt mich ab und zu. Alle paar Monate denke ich daran und frage mich ob René sich wohl noch daran erinnert. Ich glaube nicht das wir je darüber geredet haben. Wie kalt ich damals reagiert habe. René sollte sich nicht so anstellen, Joep ist doch eh schon tot.... Dafür schäme ich noch heute. Es war aus reinem Selbstschutz. Und ganz rational betrachtet hatte ich auch Recht. Trotzdem hatte René alles Recht der Welt mit mir zu schimpfen. Ich hätte besser aufpassen müssen. Es war ein Fehler der Bitte hätte passieren sollen 

Heute Abend tut es mir so Leid Joep! Entschuldige bitte das ich nicht besser aufgepasst habe. Das hattest du nicht verdient. Ich verspreche dir das ich das nie nie nie wieder machen werde. Auf deine Geschwisterchen passe ich besser auf. Versprochen. 

15.10.2018

Imke, du bist der stärkste Mensch den ich kenne

Auf der Arbeit hatten wir ein Feedbacktraining. Zum Schluss sollten wir uns Komplimente machen und Tipps geben. Dieses eine Kompliment ist wohl das grösste das ich je bekommen habe. 

"Imke, du bist der stärkste Mensch den ich kenne."

Der stärkste Mensch den er kennt. Wieviele Menschen kennt man? Und ich bin der Stärkste? Dabei fühle ich mich so oft so schwach. Dementsprechend mache ich mich wieder klein. "Ich bin nur stark weil ich keine andere Wahl habe" sage ich. Wie oft habe ich das nicht schon gesagt... "Ja aber es geht auch anders Imke. Nicht jeder steht wieder so im Leben wie du" sagt er. "Und du erreichst so viel." Er hat sich verändert sagt er. Sieht die Dinge jetzt anders. 

So oft habe ich das jetzt schon gehört. Wenn man so etwas so hautnah mitbekommt und man sieht wie ich mit meinem Verlust umgehe dann erscheinen einem die eigenen Probleme plötzlich nicht mehr so gross. Dann relativiert man ganz anders. Ist man zuhause entspannter. Genießt seine Kinder noch mehr. 

So ein schönes Kompliment. Es macht mich nachdenklich. So stark bin ich. Und das aus dem Mund von jemandem den man selbst als stark erfährt. 

Als ich Joep versprach stark zu sein und alles daran zu tun wieder glücklich zu werden wusste ich das dieses Versprechen für mich wichtig sein würde. Das es Lebenswichtig war merkte ich erst später. Das es mich zu einem so aussergewöhnlich starken Menschen macht habe ich nicht erwartet. 

Ich höre es so oft. Und manchmal, an Tagen wie heute kann ich es glauben. Ich bin stark. Stark für mich, für meinen Mann und meine Söhne. 

Ich werde wieder glücklich Joep. Weil ich es dir versprochen habe. Weil ich stark genug bin es zu schaffen. Du wirst mir immer fehlen aber unser Leben wird wieder immer ein bisschen besser. Weil wir stark sind. Weil du uns deine Kraft schenkst. Bei uns bist.

Danke 💙