11.07.2017

Sie sehen was wie sehen wollen

Die neuen Menschen in meiner Umgebung aber auch die Menschen dir mir nicht besonders nahe stehen sehen in mir eine ganz normale glückliche schwangere Frau.

Dann frage ich mich oft ob ich wirklich Glück ausstrahlen kann obwohl die Traurigkeit mich doch viel besser beschreibt. Ich fühle mich nicht glücklich, ich bin noch lange nicht wo ich einmal war und ich habe Frieden damit dass ich vielleicht nie wieder so glücklich werde. Mit 90% wäre ich mehr als zufrieden und noch immer überdurchschnittlich glücklich.

Aber mir fällt auf dass Leute sehen was sie sehen wollen.  Man fragt mich nicht wie es mir wirklich geht, ich bekomme maximal ein Kompliment dass sie so viel Respekt vor mir haben wie ich das alles schaffe. Sie fragen nach der neuen Schwangerschaft aber wollen nicht über meinen Verlust reden. Ich kann nicht sagen dass ich es schrecklich finde, dass es mich stört... Aber ich wundere mich wie blind die Menschen sind, wie blind sie sein wollen und dass es jetzt an mir ist damit um zu gehen.

Letzte Woche hatte ich zum Beispiel zwei solche Erlebnisse. Das erste Mal war es mein Betriebsarzt. Ich arbeite wieder Vollzeit, es handelte sich einfach um ein abschließendes Gespräch. Er war echt total begeistert wie gut es mir doch geht und wie viel besser ich jetzt doch aussehe. Ich sei eine strahlende Schwangere die wieder total im Leben steht. Er war so positiv dass ich ihn wirklich bremsen musste. Solche Worte erschrecken mich. Als ich ihn verbesserte sagte er er beschreibt einfach was er sieht, was ich jetzt ausstrahle, vergleicht es mit unseren ersten Gesprächen. Dass es in mir drin vielleicht ganz anders aussieht sei die eine Sache, aber das ist wie ich jetzt wieder auf die Welt wirke. Mich überraschten seine Worte, seine Beschreibung. Wie kann ich denn ausstrahlen dass ich glücklich bin und dabei strahlen? Wenn ich ein Foto von mir sehe sehe ich vor allem Traurigkeit in meinem Gesicht.

Ein paar Tage später hatte ich ein Gespräch mit einem türkischen Kollegen, erst ging es nur um die Arbeit. Es ging darum dass die Versicherung für die wir arbeiten beim Partner nicht nach dem Geschlecht fragt und ich sagte scherzhaft: "ja total modern von uns, jeder darf lieben wen er lieben will. Genau wie in Deutschland, da dürfen Homo's jetzt auch heiraten." Naja ich hatte bei meiner Bemerkung wohl nicht daran gedacht wie mein türkischer Kollege darüber denkt. Fazit: Er hat nichts gegen Homosexualität aber es ist wohl eine Krankheit. Und was soll denn bitte als Nächstes kommen? Das man Tiere heiraten darf? Sowas kann ich echt nicht unkommentiert lassen und natürlich gab ich meine Meinung zum besten. Aber der Herr hatte seine Meinung und wich auch nicht davon ab. Er ist davon überzeugt dass Homosexuelle niemals glücklich sein können. Ich sagte dass ich der Meinung bin dass die meisten viel glücklicher sind als ich und dass ihr einziges Problem solche Einstellungen aus der Gesellschaft sind. Oh man, wie ich nur sagen könnte ich sei nicht glücklich, ich hätte doch alles im Leben war seine Reaktion. Einen tollen Mann, eine eigene Wohnung,  einen Job, ich war gerade noch im Urlaub. Natürlich bin ich glücklich! Ich muss glücklich sein, er wusste es besser als ich. Er ist wohl sowas wie ein Glücksbarometer. Also erklärte ich ihm dass ich vielleicht im Urlaub war aber dass uns das nicht glücklich macht, dass immer jemand fehlt. Dass ich fast jeden Tag um Joep weine. Dass ich wirklich niemals von mir selbst sagen würde dass ich im Moment glücklich bin. Ich weiß dass ich auch viel Glück im Leben habe und ich bin dankbar, wirklich. Aber ich habe halt noch viel mehr Traurigkeit in mir und meinem Leben. Er war der Meinung dass jeder Mensch auch traurig ist und dass es nicht bedeutet dass man nicht glücklich sein kann. Ja er ist auch oft traurig, zum Beispiel weil seine Schwester jetzt ein Kind hat und noch eins bekommt und er sie nicht mehr so oft sehen kann, nicht mehr mit ihr alleine sein kann. Ich sagte ihm dass man das wirklich nicht vergleichen kann, ich war fassungslos dass er dachte dass das ein guter Vergleich sei. Ich sagte dass uns das Schlimmste passiert ist was einem Menschen passieren kann, sein Kind zu verlieren ist so schlimm, man kann es sich nicht vorstellen wenn man es nicht selbst erlebt hat. Daraufhin meinte er dass er mich wirklich versteht, dass er sich so gut vorstellen kann wie es mir geht... Seine Mama hat wohl auch mal gesagt dass es das ALLER schlimmste ist wenn man sein Kind verliert. Seine Mama, die nie ein Kind verloren hat, aber letztendlich war das das Argument dass ihn wohl überzeugte dass ich vielleicht weniger glücklich bin als er dachte... Mir ist es egal was er von mir denkt, aber es erschreckt mich einfach dass man so über mich denkt. Ich kann einfach nicht verstehen wie Menschen so naiv und dumm sein können. Ich denke von mir selbst immer dass ich gute Menschenkenntnis habe, ich verstehe dass ich mich besser in andere hineinversetzen kann als der Durchschnitt. Aber dass es Menschen mit so schlechter Menschenkenntnis gibt macht mich wirklich fassungslos. 

Ich versuchte ihm also zu erklären dass es nicht stimmt und merkte mal wieder dass Menschen halt lieber mein Lachen als meine Tränen sehen. Und das ist wohl normal, es ist der einfachere Weg. Sie erwarten dass es wieder gut ist und kann man es ihnen übel nehmen? Es geht mir ja auch viel besser. Man sieht mir meine Traurigkeit nicht mehr an, nicht wenn man mich vorher nicht kannte. Nicht wenn man nicht weiß dass ich pures Glück ausstrahlte und dass es das war was mich hübsch machte, was mich ausmachte.

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