08.03.2016

Wie gehts es uns nach 2 Wochen ohne Joep?

08.03.2016

Joep ist jetzt schon 2 Wochen tot. Heute um diese Uhrzeit (8.00 Uhr) vor 2 Wochen hatte Rene ihn ein letztes Mal auf der Brust, incl. Beatmung und allem was ihm am Leben hielt. Wir genossen unsere letzten 2 Stunden von denen wir wussten das Joep lebt. Die letzten Momente vor der großen Ungewissheit, der so angst einflößenden Zukunft.

Die letzten 2 Wochen vergingen unfassbar schnell, es fühlt sich nicht an als ob es schon 2 Wochen her ist, aber gleichzeitig fühlt es sich an als ob es schon Monate her ist. Unsere Welt steht still seit der Geburt von Joep. Erst all der Stress, seit der Beerdigung dann ohne Sinn im Leben.  Alles zieht an uns vorbei, nichts interessiert uns noch. 

Draußen sind Menschen glücklich, leben ihr Leben als ob nichts passiert ist. Bei ihnen ist ja auch nichts passiert. Aber unsere Welt ist zum Stillstand gekommen. Wir haben sehr schlechte Tage und schlechte Tage. Wir wechseln uns unbewusst ab. Wenn es mir sehr schlecht geht ist Rene stark und tröstet mich so gut es geht. Wenn Rene einen sehr schlechten Tag hat bin ich stark. Tue alles um ihm zu helfen.

Wir trauern sehr ähnlich, was mich sehr erleichtert, aber auch total unterschiedlich. Ich weiß Rene fühlt den gleichen Schmerz wie ich, und das zerreißt mich noch mehr. Rene empfindet das genauso. Seinen Partner zu sehen, ihn leiden zu sehen und zu wissen was er fühlt, den Menschen den man am meisten liebt, den einzigen Menschen der noch übrig ist, das zerreißt einem das eh schon gebrochene Herz. Dieser Schmerz ist schon unerträglich und schrecklich genug für mich. Warum muss Rene auch so leiden?

Ich habe mich nach Joeps Tod gefragt wann der Schock nachlässt, wann wir endlich  wieder etwas fühlen. Für Rene war das Montag nach der Beerdigung. Er hatte seinen letzten Arbeitstag bei Sogeti und wir mussten sein Auto, Laptop, Simkarte, etc. abgeben. Etwas worauf wir gar keine Lust hatten, aber es musste passieren und wir haben es geschafft. Bei Sogeti haben wir auch noch lange über Joep geredet. Weil wir die ganze Woche nicht einkaufen waren sind wir danach auch noch in den Supermarkt gefahren. Es war ein zu langer Tag. Wieder zuhause ist Rene zusammen gebrochen. Er lag im Bett und war nicht ansprechbar, schlief so tief dass ich mir unfassbar viele Sorgen machte. Er konnte sich nicht bewegen. Wenn ich versuchte ihn zu wecken reagierte er entweder nicht oder wurde sauer. Das ganze dauerte 3 Stunden. Danach erwachte er wieder, selbst total geschockt darüber was passiert war. Was war das? Sein ganzer Körper tat ihm noch Stunden weh. Am nächsten Tag hatte er extremen Muskelkater, und das obwohl wir uns kaum bewegt haben. Das ist in der letzten Woche 3-mal passiert. Sobald Rene zu viel macht (und was zu viel ist in dem Moment wissen wir auch nicht) ist er innerhalb von 5 Minuten knock out, liegt für 3 Stunden nicht ansprechbar im Bett und schläft so tief das man ihn nicht wecken kann. Wenn er aufwacht erinnert er sich an nichts was in den 3 Stunden passiert ist. Es macht uns Angst, aber das ist wohl seine  Art mit der extremen Trauer und Traurigkeit um zu gehen. Rene weint wenig aber bricht buchstäblich zusammen...

Bei mir hat der Schock am Dienstag nachgelassen. Joep war eine Woche Tod und montags war ich stark für Rene. Den Dienstag habe ich den ganzen Tag geweint, bin kaum aus meinem Bett gekommen. Weinen erleichtert nicht mehr, wenn ich weine geht es mir so schlecht, dann sehe ich keinen Sinn mehr im Leben. Dann bin ich so depressiv und will ich nur bei Joep sein, mich um mein Baby kümmern dürfen. Aber Rene und ich haben uns versprochen füreinander da zu sein, keine Dummheiten zu machen. Und ich weiß auch in den schwärzesten Momenten ganz genau dass wenn ich nicht gerade weine, ich so viel Hoffnung habe für unsere Zukunft. Manchmal schaffe ich es sogar an Joep zu denken und stolz zu sein, glücklich über die schönen Erinnerungen. Aber ich denke den ganzen Tag an ihn. Erst als ich mir gestern tief in den Daumen geschnitten habe habe ich einen kurzen Moment nicht an Joep gedacht. Ich kann kein TV gucken, ich will an nichts anderes denken. Mich auf nichts anders konzentrieren. Wenn ich nicht an Joep denke fühle ich mich schuldig. Ich bin jeden Tag an seinem Grab. Sonst fühle ich mich als ob ich mein Kind im Stich lasse. 

Wir haben Bilder von Joep auf gehangen. Große, so dass wir ihn immer sehen können. Außerdem habe ich einen Heliumtank und Ballons gekauft. Jeden Tag lassen wir einen Ballon für Joep steigen. Schreiben wir ihm eine kurze Nachricht und schicken wir sie in den Himmel. Schauen dem Ballon am Horizont hinterher bis er verschwindet. Irgendwie tut uns das gut.

Jeden Abend seit Joep tot ist sehe ich Sterne. Ob das ein Zeichen ist? Oder Zufall? Bevor ich eingeschlafen bin hat sich bis jetzt jedenfalls immer ein Loch in den Wolken aufgetan und hat mich wenigstens ein Stern angelacht. Das Wetter ist verrückt seit 2 Wochen. Den ersten Tag zuhause wechselte das Wetter um die halbe Stunde. Schnee. Regen. Sonne. Hagel. Von einem Extrem ins andere. Rene meinte da: "Guck, Joep spielt mit dem Wetter, er übt gerade." Und seitdem gibt uns jede unerwartete Änderung im Wetter ein gutes Gefühl. Da sitzt Joep gerade im Himmel und spielt wieder an den Wetterknöpfen. Den ganzen Winter haben wir keinen Schnee gesehen. Aber die letzte Woche hat es immer wieder geschneit oder gehagelt. Sonne und Regen wechselt sich ständig ab, dann sagen wir Joep versucht einen Regenbogen für uns zu machen. Wir hatten die letzte Woche an Wetter alles was es gibt. Ungewöhnlich... Ein Zeichen? Man sucht nach Zeichen. Will so gerne denken dass unser kleiner Mann uns auf diese Art und Weise zeigt dass er an uns denkt und uns liebt. Natürlich wissen wir dass die Ballons nie echt bei Joep ankommen. Dass er nie damit spielen wird, nie im Himmel sitzen und unsere Nachricht lesen wird. Ob er echt im Himmel sitzt? Es gibt keine Wetterknöpfe. Aber es ist das einzige was wir hoffen können und es tut gut, es gibt uns Kraft. Wir denken auf diese Art an unser Kind und es macht uns glücklich wenn wir uns vorstellen dass es ihm gerade gut geht. Den Gedanken dass es nach dem Tod vielleicht nichts gibt, Joep einfach weg ist, das ist zu traurig.

Jeden Abend bevor ich einschlafe sage ich: Gute Nacht Joep, ich liebe dich. Jeden Morgen sobald ich aufwache sage ich: Guten Morgen Joep, ich liebe dich. Wir tragen die kleine Katze noch immer mit uns rum. Ich immer, Rene viele Stunden am Tag. Wir schlafen noch immer mit Joeps kleiner Decke. 

Ich habe mich entschieden Joeps Laufstall und seine Badewanne abholen zu lassen. Der Laden in dem wir all seine Möbel gekauft haben hat einen Service der alles kostenlos abholt wenn das Baby gestorben ist. Als uns der Verkäufer davon erzählte haben wir nie gedacht dass wir den Service brauchen würden. Aber der Laufstall steht im Wohnzimmer. Wir haben kein Baby, wir brauchen ihn nicht. Noch sehe ich ihn gerne, aber wir brauchen ihn leider nicht. Ich lasse ihn abholen, er kann hier doch nicht Jahre leer stehen? Uns immer daran erinnern das Joep nie hier sein wird. Auch die Badewanne steht hier nur im Weg. Darum sollen sie die auch abholen. Das Kinderzimmer behalten wir. Wir haben das Kinderzimmer für Joep gekauft, es war das schönste Zimmer das sie hatten. Wir haben uns schon beim Kauf überlegt dass es Unisex ist und auch für ein 2. Kind super genutzt werden kann. Wir wollen wieder Mama und Papa werden, wir wollen ein zweites Kind. Wann genau wissen wir noch nicht, aber nächstes Jahr wieder schwanger sein scheint uns nicht unrealistisch. Und dann wieder ein Kinderzimmer kaufen? Ich würde wieder das schönste Zimmer kaufen wollen. Das schönste Zimmer das wir finden konnten steht hier. Wir behalten es. Für Joeps kleine Schwester oder kleinen Bruder. Ein leeres Zimmer könnte ich auch wirklich noch nicht ertragen. Ich bin gerne in seinem Zimmer. Gucke mir all seine hübschen Sachen an, rieche an seinen stinke Söckchen die leider nur noch nach Waschpulver riechen. Joep hatte wirklich die schönsten Sachen... Also bleibt sein Zimmer ein Ort des Gedenkens bis es ein Ort wird in dem wirklich ein Baby aufwachsen darf. Joep hätte seine Sachen sicher gerne geteilt. 

Seinen Maxicosi werde ich denke ich die nächsten Wochen verkaufen. Wann ich die Kraft finde weiß ich noch nicht. Aber der Maxicosi war 2nd Hand und ein paar Sachen will ich schon neu kaufen wenn wir wieder schwanger sind. Außerdem steht er im Weg, so viel Platz haben wir nicht. Es war so schön in der Schwangerschaft voller Vorfreude alles neu kaufen zu können. Uns wurden so viele schöne Momente genommen... So viel was wir nie mit Joep erleben dürfen. Aber auch eine Folgeschwangerschaft werde ich nie richtig genießen können. Unser Leben hat sich so verändert. Alles ist so anders als geplant. Wann schaffen wir es wieder neue Pläne zu schmieden?

Wir lachen noch jeden Tag, etwas was uns wohl keiner nehmen kann. Jeden Tag versuchen wir etwas zu planen. Zumindest zu Joeps Grab gehen, jeden Tag rauskommen. Wir verabreden uns zum Mittagessen mit Freunden. Kurze Treffen schaffen wir. Wir gehen einkaufen obwohl wir auch beim Supermarkt bestellen könnten. Wir stehen jeden Morgen vor 9 Uhr auf, versuchen einen Rhythmus zu behalten der uns gut tut. Duschen, ziehen uns ordentliche Klamotten an. Dreckig sein und Jogginghose fühlt sich nicht gut an, wir fühlen uns nicht gut, also versuchen wir wenigstens ein gutes Körpergefühl zu behalten. Versuchen gesund zu essen. Kochen lange noch nicht jeden Tag aber wohl immer öfter. Wir nehmen keinen Kontakt auf mit Menschen, aber wenn Menschen sich bei uns melden gehen wir (meistens) ans Telefon, antworten auf Whatsapp.  Wir machen kleine Schritte in die richtige Richtung. Ich plane ein Tattoo, schreibe noch immer diesen Blog, mache ein Fotobuch von Joeps Woche. Wir versuchen alles so zu tun wie es sich richtig für uns anfühlt. Wir sind jetzt wichtig und das haben wir verstanden.

Manche Menschen gehen uns aus dem Weg, viele wissen nicht was sie sagen sollen. Sagen dann lieber nichts. Die Barriere die hierdurch entsteht wird wohl riesig werden. Aber Menschen die uns aus dem Weg gehen verstehen wir auch. Ob unsere Wege allerdings jemals wieder zusammen finden wissen wir nicht. Es ist uns auch egal. Es gibt so viele Menschen die wohl für uns da sind, auf die wir uns verlassen können und die uns so sehr helfen.

Ich merke dass ich vor allem Kraft holen kann aus Kontakten mit Menschen die einfach für uns da sind. Uns zuhören wenn wir reden wollen und die keine gut gemeinten Ratschläge machen. Dafür ist es einfach noch zu früh. Was wir machen müssen entscheiden wir selbst. Und wir sind auf einem guten und richtigen Weg, tun was sich richtig anfühlt. Wir sind sehr empfindlich geworden die letzten Wochen, Worte verletzten mich die mir normal nie was ausgemacht hätten. Ich bin ruhiger denn je, schneller gereizt, ungeduldig. Gespräche laufen oft an mir vorbei, dann hänge ich in meinen eigenen Gedanken. Wenn ich nicht über Joep reden kann, will ich lieber nicht reden. Wenn ich nicht an ihn denke fühle ich mich schuldig. Und alles andere fühlt sich so unwichtig an. Rene kann das wohl, sich ablenken. Manchmal bin ich neidisch, will ich mich auch ablenken können. Aber dann kommen die Schuldgefühle/Mamagefühle. Ich bin vor 3 Wochen Mama geworden. Natürlich denke ich jede Sekunde an mein Baby. Das tut doch jede Mama? Es wird wohl weniger werden mit der Zeit, mein Kopf wird selbst entscheiden wann er bereit ist um Ablenkung zu zu lassen.


Manchmal bin ich mir so sicher dass wir es schaffen. Eine Art Urvertrauen die ich in Rene und mich habe. Wir schaffen doch alles, haben wir immer... Dann gibt es wieder Momente in denen ich den Sinn des Lebens nicht mehr verstehe. Ich kann an nichts mehr glauben. Wenn es Gott gäbe, wenn Gott so mächtig und gut ist wie jeder denkt, dann würd mein Baby noch leben. Dann würde nicht so viel Schlimmes passieren. Ich glaube an nichts mehr. 

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