03.06.2017

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten unserer Trauer

Männer und Frauen trauen unterschiedlich. Wie oft haben wir das nicht schon gehört und gelesen. Und ja, Rene und ich trauern unterschiedlich aber diese Unterschiede haben uns nie gestört. Jede Mama die ich bis jetzt kennen gelernt habe trauert auch anders als ich und trotzdem fühle ich diese Verbundenheit.

Rene trauert also auch anders als ich, aber von Anfang an waren die Gemeinsamkeiten in unserer Trauer viel wichtiger für mich als die Unterschiede. Wir haben und hatten immer viel Respekt füreinander und respektierten auch die Trauer des anderen. Wir waren füreinander da wenn wir es konnten und wenn wir es nicht konnten akzeptierte der Andere das. Diesen Freiraum den wir uns in unserer Trauer gaben war vermutlich sehr wichtig für unsere Beziehung. Hierdurch gab es nie Probleme zwischen uns.

Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team was unsere Trauer betrifft und auch Rene sieht eher die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede.

Rene hatte anfangs sehr stark das Bedürfnis alleine zu sein. Etwas was ich nur schwer ertragen konnte. Ich wollte bei Rene sein, am liebsten den ganzen Tag und dann nicht nur in der selben Wohnung, ich wollte neben ihm sitzen, ich konnte nicht alleine in einem Raum sein. Wenn er mich festhielt fühlte sich die Leere weniger schwarz an, dann gab es einen winzig kleinen Lichtpunkt an den ich mich klammern konnte. Aber für Rene war es genau umgekehrt. Ihm war einfach alles zu viel und er war schon immer so dass er dann am liebsten alleine ist, er macht es mit sich selbst aus. Er brauchte die Ruhe und sehr schnell auch die Ablenkung die er in allen möglichen Ipad Spielchen fand während ich nur an Joep denken konnte, mich schrecklich fühlte wenn ich ein paar Minuten nicht an ihn dachte. Das war anfangs sehr schwierig für uns, wir brauchten quasi das Gegenteil voneinander und hatten nicht die Kraft uns durch zu setzen. Aber wir erkannten sehr schnell was der andere brauchte und entwickelten ohne Worte, ganz intuitief eine Strategie wie wir hiermit umgingen. Wenn ich die Kraft hatte etwas zu unternehmen oder raus zu gehen ging ich ohne Rene und gab ihm die Ruhe die er brauchte. Ich gehe früher ins Bett als Rene, so dass er Abends Ruhe hat. Auch mittags entschied ich mich oft mich im Schlafzimmer hin zu legen während Rene im Wohnzimmer auf der Couch sass. Sobald es Frühling wurde sass ich viel auf dem Balkon in der Sonne, mir tat die Sonne gut, für Rene war die Sonne Horror. Er konnte es nicht ertragen dass die Welt so friedlich und gut aussah während er sich so schlecht fühlte also sass er im abgedunkelten Wohnzimmer und ignorierte dass die Welt sich weiter drehte, dass es Sommer wurde.

Was für mich sehr schwer war war dass Rene auch alleine sein wollte wenn er weinte. Wenn ich zu ihm kam um ihn zu trösten hörte er auf zu weinen obwohl er gar nicht aufhören wollte, er konnte nicht weinen wenn ich ihn anfasste oder andere Menschen außer mir in seiner Umgebung waren. Also lernte ich ihm den Raum zu geben, ihn weinen zu lassen. Erst nach Minuten fragte ich ob ich ihn anfassen durfte und wenn er soweit war sagte er ja. Wenn ich ihn weinen sah musste ich oft mitweinen und auch dann hörte Rene auf zu weinen und tröstete mich. Also lernte ich leise und ausserhalb seiner Sicht zu weinen, irgendwie haben wir gelernt damit um zu gehen und haben unseren Weg hierin gefunden. Rene kann mittlerweile auch weinen wenn ich ihn festhalte, wir können zusammen weinen. Wenn ich weinte kam Rene immer sofort angelaufen. Manchmal liege ich schon im Bett und rufe Rene der im Wohnzimmer sitzt weil ich noch etwas sagen will und meistens kann er mich nicht hören, aber er hörte mich immer weinen und kam dann sofort zu mir und hielt mich bis ich mich wieder beruhigte oder weinend einschlief. Dann sagte er mir wie sehr Joep mich liebt und was für eine tolle Mama ich bin.

Von Anfang an redeten wir aber auch sehr viel über Joep und unsere Gefühle. Wie fast alle Frauen war mein Bedürfnis zu reden viel grösser als das von Rene. Wenn es ihm zu viel wurde unterbrach er mich und das war okay. Wir unterbrachen uns gegenseitig oft in solchen Gesprächen weil wir Ruhe brauchten und wir akzeptierten das immer.

Wir waren oft überfordert und Kleinigkeiten wurden uns zu viel. Dann waren wir gereizt und waren gemein zu einander ohne dass der andere etwas falsch gemacht hatte. Wir verstanden beide dass das nicht persönlich gemeint war und stritten nicht darum. Wir entschuldigten uns oft aber das war eigentlich nie nötig. Wir verstanden auch ohne Worte warum der andere reagierte wie er reagierte.

Rene ist der liebste Mensch den man sich vorstellen kann und ich kenne ihn gar nicht böse. Manchmal reagierte er jetzt so sauer dass ich erschrak, das war nicht mein Mann. Aber meine ganz natürliche Reaktion war dann dass ich ihn auslachte. Warum schreist du mich an nur weil ich das Internet neu gestartet habe? Ja dein online-game, daran habe ich nicht gedacht, ich verstehe du hast gerade wegen mir verloren, frustrierend... Aber du schreist und beleidigst mich? Ich konnte es nicht fassen und ich lachte ihn aus, ich lachte richtig laut, Minuten lang und Rene lachte mit mir weil er wusste dass er übertrieben hat und dass es nicht zu ihm passt, wie albern seine Reaktion war. Aber ich war auch wirklich nicht besser als er, auch ich schrie ihn manchmal an nur weil mir was aus der Hand fiel und ich ihm die Schuld gab obwohl er keine Schuld hatte. Ich war dann so überfordert und den Boden wieder sauber zu machen war mir einfach zu viel, wenn Rene mir dann nicht helfen kam war ich unfassbar sauer und ich weinte aus Verzweiflung weil mir einfach nichts gelingen wollte. Aber auch Rene verstand mich, er lachte mich zum Glück nie aus, er half mir so gut es ging und dann beruhigte ich mich auch schnell wieder.

Die meiste Zeit aber sassen wir zusammen im Wohnzimmer und waren ein perfektes Team mit viel Respekt und Liebe für einander.  Der Haushalt war meine Aufgabe und das war okay, Rene kochte ab und zu und sorgte dafür dass wir relativ gesund aßen. Wenn wir nicht die Energie hatten zu kochen dann bestellte ich online etwas zu Essen und Rene machte die Türe auf. Er hatte nicht die Energie zu bestellen und ich konnte mir nicht vorstellen die Türe zu öffnen und jemand anderen zu sehen. Alles lief wie von selbst.

Es gab aber wie gesagt vor allem Gemeinsamkeiten. Wir reden beide sehr gerne über Joep. Wir lieben ihn wie niemand anders ihn lieben kann. Nur wir kennen den Schmerz des anderen und das hat uns gestärkt. Wir sagen beide so oft dass wir Joep lieben, wie schön er ist und wie perfekt. Joep ist und bleibt unser liebstes Gesprächsthema. Rene schaffte es schneller als ich wieder zu arbeiten, dafür schaffte ich es den Haushalt zu machen und mich mit Freunden und Familie zu treffen. Die Balance stimmte, wir waren meistens auf dem gleichen Weg. Auch heute denke ich dass wir in der Trauer ungefähr gleich weit sind, wir gleich viel schaffen.

Ich ging zu einer Trauerpsychologin, Rene ging nicht und auch da waren wir uns einig dass es nicht nötig ist. Ich ging nur zur Kontrolle, ich musste von jemandem hören dass wir alles richtig machen dem ich vertrauen konnte. Bei den Treffen erzählte ich dann wie es uns geht, was wir zuhause machen. Wenn ich zuhause ankam erzählte ich immer wie das Gespräch war und Rene nahm alles an was ich sagte. Wir arbeiteten zusammen daran wieder glücklich zu werden und schlugen den gleichen Weg ein. Diesen Weg gehen wir noch immer gemeinsam, wir verstehen uns ohne Worte und wir sind sehr gut füreinander. Die Liebe die wir für Joep und für einander empfinden ist so stark dass wir sicher sind alles zu schaffen. Mehr als 50% der Beziehungen zerbrechen nach dem Verlust seines Kindes aber nicht unsere. Rene und ich bleiben immer zusammen, für immer, davon bin ich heute noch genauso überzeugt wie ich es vor 12 Jahren war. Einmal perfekt, immer perfekt. Und hoffentlich dürfen bald ein paar perfekte Kinder bei uns wohnen. 

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wir trauern gemeinsam...wir trauern allein...

Wir akzeptieren die Gefühle des anderen und versuchen unsere Sinne zu schärfen, um die Bedürfnisse des anderen zu erkennen. Wir schaffen es oft, aber nicht immer.

Wie kann es irgendwann leichter werden? Die Aussicht darauf, war am Anfang noch in weiter Ferne. Doch es wird besser. Die Trauer ist ein stetiger Begleiter, jedoch füllt sie nicht mehr den ganzen Tag aus. Es gibt gute und schlechte Tage. Es sind Erinnerungen, die einen mit Glück erfüllen, um dann doch im Anschluss, den Schmerz noch intensiver zu spühren. Weil einem das Glück genommen wurde. Es gibt kein Glück mehr.

Das Leben zeigt sich von seiner harten Seite. Die schlechten Zeiten sind da und wir versuchen sie zu überstehen.

Wir trauern gemeinsam...wir trauern allein...


Liebe Imke!
Ihr habt einen guten Weg gefunden mit eurer Trauer umzugehen. Es ist wichtig, die Signale des anderen zu erkennen. Jedem den Freiraum zu geben, den er braucht, um mit seiner unendlichen Traurigkeit klar zu kommen.
Mir fällt es oft auch leichter allein zu weinen, weil ich dann niemanden mit runterziehe. Ich kann so laut und so lange weinen, wie ich möchte. Ich verletze niemanden, außer vielleicht manchmal mich selbst. Aber ich merke oft, dass mir das Herausweinen gut tut. Ich kann alles rauslassen, was tief in mir schmort und der Kloß im Bauch wird kleiner.

Ich kann es so gut nachempfinden, wie du eure Trauerverarbeitung beschreibst. Auch ich lasse inzwischen meinen Mann in Ruhe weinen, denn ich weiß, dass er sofort aufhört, wenn ich ihn in den Arm nehme. Dabei soll er doch alles rauslassen und mit mir zusammen weinen. Aber dann kümmert er sich auch wieder viel zu sehr um meine Traurigkeit. Ich finde es gut, dass du ihn fragst, ob du ihn anfassen darfst. Ich war zu Beginn meistens viel zu schnell mit meinen Umarmungen und ärgerte mich anschließend, über mich selbst.
Wir können sehr gut über unsere Gefühle reden, nur ist es manchmal schwierig den richtigen Zeitpunkt zu treffen.
Kennst du das auch?
Wann kann ich ihm sagen, was mir heute durch den Kopf gegangen ist? Mache ich ihn dann wieder traurig?
Ist er nicht heute zu gut drauf?
Möchte er jetzt an unseren Sohn erinnert werden?

Das ist nicht immer einfach. Ich bin noch nicht wieder berufstätig und habe viel mehr Zeit zum Grübeln.
Ich schreibe jetzt Tagebuch, damit ich alles noch einmal verarbeiten kann. Ich merke, dass mir das gut tut.
Wir besuchen jetzt auch einen Psychologen. Wir können gemeinsam, oder auch alleine kommen. Das ist optimal.

Wir sind uns sicher, dass wir das gemeinsam schaffen. Es geht uns wie euch, wir sind für einander bestimmt.

LG M

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